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5. ‚Innerer Orden‘ und ‚Sex Magick‘

6. April 2020

5. ‚Innerer Orden‘ und ‚Sex Magick‘

Nun betreten wir zu guter letzt das Gebiet (bzw. zwei Gebiete), wo sich endgültig ‚die Spreu vom Weizen trennen‘ dürfte. So ist es ja auch schon im Crowley-Ansatz selbst deutlich angesprochen, und etwa im Konzept der ‚Schwarzen Brüder‘, bzw. der großen Herausforderung des ‚Abyss‘ veranschaulicht: wer seine eigenen Vorurteile nicht RESTLOS loszulassen schafft … der ‚mauert sich ein‘, verkrustet – und geht schließlich unter als ‚zur Salzsäule‘ erstarrtes Monstrum der Unflexibilität, im unerschöpflichen Meer der Möglichkeiten (Tiamat/Tehomoth).

Und naturgemäß werden sich in diesem Punkt vorliegender Abhandlung dann auch die Geister scheiden; viele Bewunderer des Crowley-Werkes werden vermutlich den folgenden Gedanken nicht in jede Richtung folgen wollen. Und Gegner Crowleys werden wahrscheinlich ohnehin nicht bis hierher gelesen haben …

Die zwei Gebiete sind erstens (noch nicht ganz so provokant …) der ‚Absolutheitsanspruch‘ des A.‘. A.‘., und zweitens (hoch-brisant …) das Thema ‚Sex Magick‘. Und gerade letzteres muss, so unangenehm es sein mag, für die Zwecke dieser Abhandlung doch zumindest knapp aber präzise und deutlich angesprochen werden.

5.1. Das Prinzip des ‚Einen Wahren Inneren Ordens‘

Die Grundbehauptung ist: Es war nie das eigentliche Ziel (Crowleys, bzw. der Kräfte, die durch ihn wirken), einen ‚äußeren Orden‘ namens A.‘. A.‘. zu etablieren. Das kurzlebige Beispiel, das durch seine Person in die Weltgeschichte gepinselt worden ist, dient ’nur‘ als Skizze, stellt genug Material zur Verfügung, um den Weg GANZ ALLEINE zu finden – und dieses Material wurde durch den unübersehbaren Auftritt des Exzentrikers Crowley in der Welt quasi zwangsläufig ‚ins Museum‘ katapultiert, es ist heute für jeden im Prinzip einsehbar und erreichbar.

Was aus diesem Impuls von damals vor hundert Jahren genau geworden ist (hier, in der heutigen Sichtbarkeit), das soll gleich im Fazit noch etwas betrachtet werden. Jetzt soll zum Abschluss dieses Hauptteils nur noch auf das theoretische Ideal eingegangen werden, auf dem jede Praxis basiert.

Die leitende Idee ist also, die Struktur des universellen ‚Einweihungsweges‘ so zu veröffentlichen, dass jeder, der sich dazu berufen fühlt, diesen Weg anzutreten, alle dazu nötigen Ressourcen (in Form von technischer ‚Anleitung‘) vorfindet. Und dabei sollen diese Ressourcen – sinnvollerweise – in einer dem herrschenden Zeitalter angemessenen Form angeboten werden.

Darüber hinaus soll in dem so geschaffenen System die Möglichkeit enthalten sein, eine ‚kontinuierliche‘ Lehrer-Schüler-Kette (bzw. ein Netz) zu gewährleisten, indem die Hauptvoraussetzung zur ‚Beförderung‘ in den nächst-höheren Grad (zumindest im Prinzip) darin besteht, (mindestens) einen ‚Schüler‘ auf die bisherige eigene Stufe emporzuheben (bzw. ihn bei diesem Weg zu unterstützen, ihn mit Rat und Tat zu begleiten). So ist ein Mittelweg gefunden zwischen einerseits möglichst autarkem Arbeiten (keine ‚rituellen Arbeiten‘ in der Gemeinschaft; stattdessen studiert und praktiziert jeder für sich), und andererseits einer einheitlichen herrschenden ‚Kraft‘, durch die alle Ordensmitglieder dennoch miteinander eng verbunden sind: die stets von oben nach unten fließende Kraft, den ‚emporzuheben‘, der sich ihrer bedient.

So fällt die Bewertung dieser Grundidee einer weitgehenden ‚Selbsteinweihung‘, bei dennoch ausreichender Unterstützung durch frei verfügbare Hilfen und die Möglichkeit, mit Gleichgesinnten als Mitstreiter zusammenzukommen – in der Theorie jedenfalls – rundum wohlwollend aus. Tatsächlich hat der hier Schreibende einmal, vor rund einem halben Jahrzehnt, ganz ähnliche Gedanken gehabt im Bezug auf eine angemessene heutige Form für ‚Einweihungswege‘ (damals vor allem bezogen auf die Freimaurerei), ohne geahnt zu haben, dass dieses Modell bereits seit einem guten Jahrhundert ‚ganz offiziell‘ in Form der Schriften Aleister Crowleys (bzw. der Zeitschrift The Equinox) existiert. Die damaligen Gedanken zur Freimaurerei finden sich in einem Artikel mit dem Titel ‚Freimaurerei als Safecopy‘ auf LaThalmidim.net, in der Rubrik ‚Geschichte dieses eLogs‘ unter ‚Bundeslade‘. Doch das nur als Randnotiz. Die vorliegende Abhandlung ist demgegenüber so etwas wie die unterbewusst endlich zur Reife gelangte, angemessen gründliche Ausarbeitung jenes damaligen nur recht sanften Impulses.

Also: Was auch immer aus Crowleys ‚äußerer‘ Institution für den A.‘. A.‘. geworden sein mag (das ist an dieser Stelle völlig irrelevant), dadurch, das er sie als Beispiel verwirklicht hat, ist die IDEE (recht breit, jedenfalls nicht ‚im Geheimen‘) überliefert worden. Das ist sein ‚persönlicher‘ Verdienst, wenn man es so sehen will.

5.2. ‚Sex Magick‘ als (notwendiger) verborgener Kern des Ganzen

Jetzt aber müssen wir noch zu einem heiklen Thema kommen, ohne das diese Abhandlung nicht vollständig sein könnte.

Indem nämlich der sogenannte ‚Orden vom Rosenkreuz‘ die mittlere Abteilung des Ordens darstellt, in der die explizit als ‚Hauptaufgabe‘ des Ordens bezeichnete eigentliche Mission des ‚Adeptentums‘ stattfindet (bezeichnet als ‚das Kennenlernen des Heiligen Schutzengels und der Austausch mit diesem‘), steht (wenn auch zunächst noch hinter der Allegorie des Rosenkreuzes verschleiert) das ‚höchste Mysterium‘ im Zentrum des A.‘. A.‘.: die ‚Heilige Hochzeit‘, die Vereinigung von ‚Himmel und Erde‘, von ‚Männlichem und Weiblichem Prinzip‘, kurz: das Mysterium der geschlechtlichen Vereinigung, das sich auf geistiger Ebene in seiner höchsten Form eben im ‚Adeptentum‘ ausdrückt, im ‚Erkenne dich selbst‘, dem Befruchtetwerden des Individuums durch den Kosmos in der Einswerdung zwischen Zeit und Ewigkeit des Erlebens.

Und die äußerste (praktische) Konsequenz dieses zentralen Motivs aller Einweihung … ist bekannt unter dem berühmt-berüchtigten Terminus ‚Sex Magick‘, der insbesondere durch Crowley im jüngeren Abendland bekannt geworden ist (neben anderen Vorreitern in dieser Thematik, wie Paschal Beverly Randolph, Theodor Reuss und Gerald Gardner, in den vergangenen zweihundert Jahren).

In den Jahrhunderten zuvor freilich war dieses Motiv stets präsent in verschiedenen ‚religiösen‘ Verhaltensweisen, die moderne Religionswissenschaftler vermutlich grob unter dem Begriff der ‚Fruchtbarkeitskulte‘ subsumieren dürften (ein Stichwort hierbei wäre auch ‚Tempelprostitution‘). Im Biblischen Hebräisch gibt es ein Wort, das gemeinhin als ‚Tempelhure‘ (oder im männlichen Äquivalent als ‚Tempelhurer‘) übersetzt wird, das aber genauso geschrieben wird, wie das Wort für eine ‚Heilige‘ (bzw. einen ‚Heiligen‘): Kadeschah (resp. Kadesch).

In der Renessaince sollen Denker wie Marsilio Ficino und Giordano Bruno das Thema (wohlwollend) behandelt haben, und Paracelsus assoziiert die ‚Sexualkraft‘ mit der Imaginationskraft (ein Motiv, was bis heute in der jüdischen Überlieferung hinter mancher Chiffre zu entdecken ist – mehr dazu unten).

Zu all dem muss zunächst einiges Grundsätzliches gesagt werden, bevor auf Crowleys Einlassungen zu der Thematik (und dann, vor allem im Fazit zum Schluss, auch auf sein mutmaßliches Ausleben dieser Vorstellungen) eingegangen werden kann.

Zentrales Motiv aller ‚Sex Magick‘ ist die Symbolik der Vereinigung von zwei Extremen, woraus ‚Frucht‘ hervorgeht – und damit ist es eigentlich schlichtweg die Grundlage überhaupt aller Mysteriums-Symbolik.

Adeptentum‘ ist zu allen Zeiten verstanden worden als ein Weg der ‚Verschmelzung von Mikro- und Makrokosmos‘. Wie schon erwähnt, ist es unter anderem das Rosenkreuz-Motiv, das diesen Gedanken im Bild ausdrückt. Aber letztlich lassen sich sehr viele Symbole mystischer (bzw. allgemeiner: religiöser) Traditionen vor diesem Hintergrund deuten. Beispiele wären das Yin-Yang-Symbol, das freimaurerische ‚Winkelmaß und Zirkel‘-Emblem (Square and Compasses, ‚Quadrat und Kreis‘), der sogenannte ‚Davidstern‘ (eigentlich ‚Magen Dawid‘, ‚Schild Davids‘; bzw. auch bekannt als ‚Siegel Salomonis‘ – geometrisch ein Hexagramm aus einem nach oben und einem nach unten zeigenden gleichseitigen Dreieck), auch der Heilige Gral und die Lanze des Longinus (die die Wunde hervorruft, aus der das Blut in den Gral tropft) gehören hierher. Sogar der ‚Satz des Pythagoras‘ kann in diesem Sinne interpretiert werden (siehe z. B. Friedrich Weinreb dazu, oder auf LaThalmidim.net das erste Kapitel des Buches Hebrew Astrology).

Nun soll aber auch klar betont sein: Die Anerkennung dieses ‚höchsten aller Symbole‘ für das ‚Große Werk‘ MUSS keineswegs allzu deutlich mit dem physischen Zeugungsakt assoziiert, geschweige denn durch ihn manifestiert werden!

Als ‚höchstes Mysterium‘ ist diese ‚Heilige Hochzeit‘ zunächst weder ‚Gut‘ noch ‚Böse‘, das Potential zu BEIDEM ist darin enthalten. Man kann vermutlich sagen, dass sowohl das aller-Heiligste, als auch das aller-Entweihendste aus diesem immensen Potential schöpft. Angefangen bei der physisch-biologischen Zeugung von neuem Leben, welche in nahezu jeder Religion zunächst mit einer ‚Hochzeitszeremonie‘ des Brautpaares rituell geheiligt wird – bis hin zum Degradieren der Erotik zu einem Machtmittel und/oder bloßer Lustbefriedigung am anderen Extrem der Polarität.

Gerade der ‚Samen‘ (konkret im Sinne menschlichen Spermas, aber im weiteren Sinne auch im Sinne von jeder pflanzlichen ‚Saat‘, siehe dazu auch diverse biblische Gleichnisse u. ä.) ist als hochpotente Substanz im ‚magischen‘ Sinne zu begreifen; in ihm manifestiert sich der Mensch als (Mit-)Schöpfer. Wobei demgegenüber natürlich nicht das weibliche Äquivalent, die Eizelle, außer Acht gelassen werden kann. Und wie es beim männlichen Samen konkret dann die Samenflüssigkeit ist, die als der materielle Träger ‚handhabbar‘ ist, so ist es im Falle der weiblichen Eizellen üblicherweise besonders das Menstruationsblut, das diese ‚Trägerfunktion‘ in der magischen Handhabbarkeit übernimmt (wobei wohl oft auch das Vaginalsekret eine annähernd gleichwertige Rolle einnehmen kann). Diese Auffassung schlägt sich auch (in freilich nicht offen ‚magischer‘ Konnotation) in der jüdischen Überlieferung nieder, wo man zum Beispiel in der Mischna (= die älteste Schicht des Talmud) die Rede vom ‚Weißen‘ und vom ‚Roten‘ antrifft, als das, wodurch sich jeweils der Mann, respektive die Frau ‚verunreinigt‘. Und hier sollte wohl der Hinweis gegeben werden, dass ‚Unreinheit‘ eine recht einengende Übersetzung des hebräischen Wortes ist: ‚tamä‘ ist nämlich ein Wort, das eigentlich gar nicht übersetzt werden kann, aber es sei dazu die Behauptung aufgestellt: wenn biblisch vor dem Kontakt mit der menstruierenden Frau oder dem samenflüssigen Mann gewarnt wird, ist das eher ‚zum Schutz‘ der Frau und des Mannes zu verstehen, und nicht zum Schutz der Mitmenschen vor der vermeintlichen ‚Verunreinigung‘ durch die entsprechenden Körpersubstanzen. Vor dem Hintergrund, dass besagten Substanzen das höchste magische Potential unter allen irdischen Substanzen innewohnt (’neutrales‘ Blut des regulären geschlossenen Kreislaufs im Körper an dieser Stelle einmal ausgeklammert), sind Samenflüssigkeit und Menstruationsblut als Träger der Lebenskraft des Menschen zu betrachten, dem sie entfließen (und daher ließe sich mit diesen Substanzen schlimmer ‚Schindluder‘ treiben, auch zum Nachteil der quasi unfreiwilligen ‚Spender‘). Letzter Hinweis dazu: ‚Unreinheit‘ hat mit ‚Tod‘ zu tun (sowohl bei austretender Samenflüssigkeit, als auch bei Menstruationsblut handelt es sich prinzipiell um ‚Lebenskraft, die aber dem Tod preisgegeben wird‘), und ‚Tod‘ hat mit ‚Verwandlung‘ zu tun. Und auch ‚Magie‘ hat mit ‚Verwandlung‘ zu tun.

Wer mehr zu dieser Thematik ‚in der Theorie‘, aus ‚magischer‘ Sicht, erfahren will, möge sich an entsprechende Schriften Crowleys wenden, wo zumindest in Andeutungen manches gesagt ist.

Zum Umgang mit diesen Substanzen in verschiedenen Traditionen sollen hier nun nur noch ein paar wenige Hinweise allgemeiner Natur gegeben werden.

So gibt es (bzw. gab es) einmal eine gnostische Strömung, von der angenommen wird, dass sie eine demonstrative Geringschätzung des Samens gepflegt habe, inklusive seiner rituellen ‚Zerstörung‘ in Form von ‚fruchtlosem Vergießen‘ (also ein Motiv, das ‚orthodox-biblisch‘, vor allem alttestamentlich, aufs Schärfste abgelehnt zu werden scheint, siehe die Herkunft des modern-psychologischen Begriffs der ‚Onanie‘ …). Diese Praxis hat in der Auffassung ihren Ursprung, dass die materielle Welt minderwertig, und von einem ‚bösen Demiurgen‘ geschaffen sei, und die Menschenseelen bei jeder neuen Geburt in dieses Gefängnis hinab gesaugt würden. So ist also die Zeugung eines Menschen durch den natürlichen Vorgang eine ‚Sünde gegen die Seele‘, bzw. gegen den ‚reinen Geist‘, der von keiner Materialität befleckt ist, und zu dem empor sich diese Art von Gnostiker hinauf sehnen.

Diese Auffassung des Samens als etwas ‚Bösem‘ findet sich auch in der jüdischen Überlieferung angedeutet – dort jedoch werden geradezu gegenteilige Konsequenzen aus der Gesamtsituation des Menschen gezogen.

Der Gedanke dreht sich dabei um das hebräische Wort für Samen (auch für die pflanzliche Saat), ‚zera‘. Dieses Wort wird in einer Art Wortspiel auch als ‚zeh ra‘ gelesen, was dann ‚dies ist böse‘ bedeutet. Same ist also ‚böse‘, und zwar, weil das Böse primär als Verlust der Einheit gedeutet wird, und im Falle des Menschen sich dieser Verlust auch darin niederschlägt, dass die Menschheit aus ihrem ‚ewigen Urzustand‘ im Garten Eden hinabfällt in eine Zersplitterung in die Generationen.

So wird explizit die ‚Verführung durch die Schlange‘ im Garten als die Verführung zum Geschlechtsakt gedeutet, wodurch eben besagte Zersplitterung ihren Anfang nimmt. Hiermit stimmt auch die Gleichsetzung von ‚Erkennen‘ und ‚Befruchten‘ überein (‚Und Adam erkannte sein Weib, und sie ward schwanger‘, etc.; daher auch die Rede vom ‚Baum der ERKENNTNIS von Gut und Böse‘).

Daraus ergibt sich aber nun der Widerspruch, dass einerseits die ‚Frucht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse‘ (also dass, wozu die Schlange verführt, der biologische Zeugungsakt) verboten ist … andererseits aber das erste Gebot Gottes an den Menschen lautet: ‚Seid fruchtbar und mehret euch!‘. Der Mensch ist also von Anfang an in ein unauflösbares Spannungsverhältnis hinein geschaffen …

Die jüdische ‚Halakha‘, die empfohlene Lebenspraxis, zieht dann bestimmte Konsequenzen aus all dem, die im Wesentlichen auf einer ‚Hoch-Heiligung‘ der Ehe basieren, aus der möglichst viele Kinder hervorgehen sollen, welche aber wiederum unbedingt im Rahmen dieser streng ‚vor unkontrolliertem Zerfall‘ geschützen Familie möglichst ‚jüdisch‘ erzogen werden sollen, um zumindest die ‚Heilige Thora‘, die den Juden als ‚Baum des Lebens‘ gilt, durch alle zersplitterten Generationen hindurch lebendig und verfügbar zu halten, um so den Fluch des ‚Baumes des Todes‘, der mit jedem Zeugungsakt einhergeht, quasi unwirksam zu machen. Doch dies ist freilich nur eine sehr vereinfachte Erklärung und überhaupt nur EINE mögliche Deutung. Für die Details wende man sich an einschlägige Schriften (z. B. für den Anfang an den Schulchan Arukh von Josef Karo).

Zum Kern des Mysteriums des (menschlichen) Samens dringt die jüdische Überlieferung ihrer Natur gemäß nur sehr schüchtern vor. Nämlich da, wo sie für den Umgang mit Samenergüssen beim Mann versucht, Empfehlungen abzugeben, begründet sie diese Empfehlungen mit einer sehr präzisen Aussage zum Wesen des Samens (dies findet sich z. B. im Kitzur Schulchan Arukh von Schlomo Ganzfried, geht aber wohl auf ein Maimonides-Zitat zurück): ‚Der Same ist die Kraft des Körpers und das Licht der Augen. Wenn zuviel den Körper verlässt, geht der Körper zugrunde und schwindet das Leben; […] den überfällt das Greisenalter, seine Kraft wird schwach, seine Augen werden trübe, übler Geruch kommt aus seinem Mund, sein Haupthaar, seine Augenbrauen und seine Wimpern fallen aus, das Haar seines Bartes, seiner Achselhöhlen und seiner Füße wird groß, seine Zähne fallen ihm aus und viele Leiden, außer denen, kommen auf ihn.‘

Und dieses ‚Licht der Augen‘ (wörtlich: ‚Leuchte der Augen‘; man vergleiche hiermit auch ‚Volksweisheiten’/’Ammenmärchen‘ im Bezug auf männliche ‚Masturbation‘ im Sinne von ‚davon wirst du blind!‘) ist im geistigen Sinne – wie es auch der oben schon erwähnte Paracelsus deutet – die menschliche ‚Imaginationskraft‘, welche die Grundpotenz ALLER Willensverwirklichung überhaupt innerhalb der menschlichen Seele ist.

Ein mit besonderer Vorsicht zu gehender Weg ist nun der der Entkoppelung der erotischen Kraft, welche sich im Samen manifestiert, von der biologischen Zeugung. Und wohl um die damit einhergehenden Risiken von vorneherein zu vermeiden, ist in sehr vielen Traditionen (zumindest was die ‚exoterische‘ Ausprägung betrifft) dieser Weg mit besonderer Strenge tabuisiert.

Das hat auf der anderen Seite aber in manchen mehr ‚esoterischen‘ Ausprägungen dann dazu geführt, dass dieser ‚Weg der Entkoppelung‘ geradezu empfohlen wird, um ‚wahre Freiheit‘ kennenzulernen, die nötig ist, um wahrhaftigen Gottesdienst leisten zu können. Das vermutlich bekannteste Beispiel mit sehr langer Tradition ist hierzu wohl das sogenannte ‚Tantra Yoga‘, im Besonderen dann auch dessen ‚linkshändige‘ Variante (was im Hinduismus NICHT zwangsläufig in einem ’satanischen‘ Sinne gemeint ist!). Wobei dazu angemerkt sei, dass, im Gegensatz zum herrschenden Vorurteil, ‚Tantra‘ sich keineswegs auf erotische Praktiken beschränkt – diese stellen lediglich eine (wenn auch durchaus relevante) Komponente dieses besonderen Weges dar.

Die tiefergehende Begründung für diese ‚Entkoppelung des Eros vom biologischen Zeugungsakt‘ zu religiösen oder ‚magischen‘ Zwecken liegt jedoch wiederum im Begreifen des Geschlechtstriebes des Menschen als besonderes Kraftpotential. Dadurch, dass aus dieser Kraft ’neues Leben‘ in die irdische Welt gebracht wird, hat dieser Trieb natürlicherweise den Charakter der ‚Gottesebenbildlichkeit‘ im Sinne der (Mit-)Schöpfertätigkeit des Menschen. Das an sich freilich kann weiterhin zum ‚Guten‘, wie zum ‚Bösen‘ ausgelebt, bzw. gebraucht werden.

Es fließen also die geistig-kreative und körperlich-aufbauende Kraft des Samens (‚Licht der Augen, Kraft des Körpers‘) und die symbolische Dimension (‚Mitschöpfertum beim Zeugungsakt‘) zusammen. Darin besteht das große ‚magische Potential‘ des Samens, bzw. allgemein der dahinterstehenden Lebenskraft (auch hier: die weibliche ‚Gegenseite‘ hat vergleichbare Konnotationen, wenn auch natürlich mit anderen, ‚komplementären‘ Erscheinungsformen).

Nun gibt es davon ausgehend zwei grundsätzliche Wege (die allerdings auch wiederum zusammenfließen können): Einerseits, die betreffenden Substanzen zu ‚verinnerlichen‘, das heißt, sie vor jedem Austritt zu bewahren, bzw, sie bei Austritt vor Missbrauch ’schützen‘ (= jüdischer Weg; eine deutlich weiter ausgearbeitete Praxis findet sich in Teilen des Hinduismus, bestimmte Formen von ‚Tantra Yoga‘; man könnte hier auch vom ‚männlich>weiblichen Weg‘ sprechen). Dies ist in der elaborierteren Ausprägung im Prinzip eine erweiterte Form von Asana und Pranayama (~ Körperspannung und Atemkontrolle): die Kraft wird nicht ‚unterdrückt‘, bzw. gedämpft (= jüdischer Weg), sondern sie wird innerlich ‚gesammelt‘ und ‚emporgehoben‘ (bzw ‚mit Intentionalität versehen‘; ‚Dharana‘ und ‚Pratyahara‘). Denn die ‚Sexualkraft‘ ist eigentlich keine ‚eigene Kraft‘, sondern einfach die Lebenskraft, die sich in einem bestimmten Kontext manifestiert (und die aufgrund dieses Kontextes eine besondere Intensität aufweist, welche dann durch die Techniken eines ‚Emporhebens‘ auch für andere Kontexte fruchtbar gemacht werden soll).

Andererseits gibt es den entgegengesetzten Weg, die ‚Veräußerlichung‘, bzw. ‚äußere Anwendung‘ (hierbei könnte entsprechend vom ‚weiblich>männlichen Weg‘ gesprochen werden): Und zwar will man die Substanzen dabei dadurch ‚heiligen‘, dass sie (insbesondere jenseits des natürlichen, biologischen Zeugungsaktes) äußerlich ‚angewendet‘ werden, ihre natürliche Funktion damit ebenfalls ‚transzendiert‘ wird.

letzteres scheint dann auch Crowleys bevorzugter Weg zu sein (aber allem Anschein nach von ihm vor allem im O.T.O, und möglicherweise im Rahmen seiner ‚Abtei Thelema‘ praktiziert, nicht aber im konkreten Rahmen des A.‘. A.‘.; siehe zum O.T.O. auch eine recht bekannte Anekdote zum Ritual der ‚Mass of the Phoenix‘, aufgrund dessen ‚Kenntnis‘ Crowley von Theodor Reuss, dem Gründer des O.T.O., direkt in einen hohen Grad dieses Ordens aufgenommen worden sein soll).

Nur der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt: Die ‚äußerliche‘ Anwendung erweitert die ‚magischen‘ Möglichkeiten dadurch, dass eine direkte Mischung mit dem ‚komplementären Gegenüber‘ des Samens, also mit dem weiblichen Vaginalsekret geschehen kann (bzw. auch mit Menstruationsblut; oder natürlich auch mit allen möglichen sonstigen Substanzen – ein Gebiet, das schnell in eindeutig ’schwarze‘ Bereiche der Magie führt, indem es dazu verführt, sich durch das immense Reservoir an Kombinationsmöglichkeiten, mit entsprechend vielfältigen Wirkungen, auf die gezielt werden könnte, vom eigentlichen Weg des Großen Werkes ablenken zu lassen).

Dabei erfüllen die erwähnten Techniken des ‚Verinnerlichens‘ (zumindest deren mehr ‚mechanischen‘ Komponenten) wohlgemerkt noch immer einen vorbereitenden Zweck im Bezug auf die Ansammlung der Kraft, bevor das Ergebnis davon dann ‚in die Substanz überführt externalisiert wird‘. Aber auf dieses Gebiet soll hier nun wirklich nicht weiter eingegangen werden, und stattdessen DRINGEND vor voreiligen Experimenten in diesem Bereich gewarnt werden! Und zwar aus dem Grund, dass alles ‚Zweckgerichtete‘ gerade dort, wo echtes ‚Wunder‘ geschieht, tötet. Und wenn das Tödliche nicht als solches wahrgenommen wird, kann schnell ein Amoklauf daraus werden …

Die erstgenannte Variante, die ’nach innen gerichtete‘ (die männlich>weibliche), birgt dagegen für sich genommen weniger Risiken, stellt aber in ihrer vollständigen Form in zweierlei Hinsicht eine größere Herausforderung für den Mann dar: einerseits konkret für die Willenskraft und für die Beckenbodenmuskulatur, um den erotischen Klimax von einer (dann nicht stattfindenden) Ejakulation zu entkoppeln (bei der Frau muss hier entsprechend als Schwierigkeit beim ‚weiblich>männlichen Weg‘ umgekehrt ‚das eine AN DAS andere gekoppelt‘ werden, und eine sogenannte ‚Ejakulation‘ STATTFINDEN) und den inneren Fokus dabei auf ‚das Ziel‘ zu richten (‚Dharana‘). Andererseits muss in beiden Fällen allgemein das komplementäre Gegenüber ‚geistig-seelisch‘ selbst aktiv bereitgestellt werden – ganz gleich, ob eine physische Verbindung der beiden Geschlechter währenddessen geschieht, oder nicht (der Mann muss im Erleben auch ‚die Frau‘ sein; die Frau muss im Erleben auch ‚der Mann‘ sein).

Es gibt die Sichtweise, das im Falle einer solchen Begegnung von physischem Mann und physischer Frau (ohne ‚äußerlicher‘ Verquickung von Samen und Eizelle durch einen ‚Erguss, abgeschossen so schnell wie ein Pfeil aus dem Bogen‘, im Bild der jüdischen Überlieferung gesprochen …) eine sogenannte ‚unbefleckte Empfängnis‘ möglich ist.

Tja, und so endet dieser Hauptteil vorliegender Abhandlung mit recht ‚expliziten‘ Ausführungen, die nicht wenigen Lesenden eine Schamesröte ins Gesicht treiben dürften …

!N!

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