Warum noch so tun, als ob …
Absolute Mehrheit – Stefan Raab, sein Polit-Talk-Debut
Will er Deutschlands Jugend retten? … oder doch die Welt an sich reißen …
Stefan Raab als Polit-Talkmaster! Überraschend? Potential zu Großem, mit Sicherheit. Trauriger Kommentar zur ach so tollen “Jetztzeit”? Nicht mal unbedingt. Wer weiß. Gespanntsein kann man, muss man fast – am Haken ist man schnell, zugegeben. Nur, jetzt muss auch Substanz fließen, wenn die Quoten für ein zweites Mal reichen sollen … Kann Raab das? Und: Wollen wir, dass Raab das kann? Aber der Reihe nach, lassen wir es auf uns zukommen!
Los gehts: Oppermann, Kubicki, Fuchs und van Aken – und eine Dame namens Verena Delius (sozusagen eine „Wildcard“-Teilnehmerin, wie wir das Prinzip aus Shows wie Raabs Pokerturnier kennen); Unternehmerin angeblich, soundsoviel Angestellte. Sie macht direkt einen recht aufgeweckten Eindruck, entzieht sich zunächst den meisten Klischees, die einem aus Raabs Exposition ihrer Person vielleicht in den Sinn gekommen waren. Dann Raabs erstes Tappen auf neuem Terrain – dürfte für ihn ähnliche Ambitionen erfordert haben, wie für seinen Sidekick Peter Limbourg, den Polit-Mullah von der Pro7-Sat1-Mafia … Aber beide bleiben besonnen – trotz weniger, vom Publikum nur teil-bewusst ignorierter Betretenheiten – und pendeln sich zügig ein zu einem … nun, ob seiner im deutschen Fernsehen originären Primordialität nicht so recht definierbaren „Etwas“, das man wohl mit gutem Recht als das Bestmögliche bezeichnen darf, welches man hätte zu erwarten wagen aus all den Vorabinformationen. Die Gäste machen es Raab zugegeben erfrischend leicht, von Anfang an.
Den ein oder anderen Verschwörungstheoriefreund könnte vielleicht der Gedanke erschrecken, wie leicht es doch wäre, die “Wildcard” dieser Meinungsrate-Show schlicht an einen gut gebrieften Schauspieler – bzw. Schauspielerin – zu “verlosen” … schamlose Meinungszucht, nicht mal wirklich bemüht darum, die dreiste Gehirnwäsche der dummen Schafherde zu verschleiern. In Zeiten der Scripted Reality, von der erschreckende Massen zu glauben scheinen, alles sei “echt”; ganz im Geiste der amerikanischen Klischee-White-Trash´ler, die nicht im Traume daran denken, an der brutal-sentimentalen Abschaum-Romantik ihres geliebten Wrestling zu zweifeln … Naja, schlimmer als der Status Quo der Demokratie hier in Bürokratistan wäre eine Raab-Diktatur wahrscheinlich gar nicht …
Aber Spaß beiseite hier – in so einer Show waren kleinere Späße von der alten Ulknudel Raab natürlich nie zu vermeiden gewesen; sie kommen aber immerhin nebensächlich genug rüber, sodass die allgemeine Stimmung in ihrem (verhältnismäßig …) seriösen Grundbass beständig bleibt und nicht in Manegen-Turnerei-Getröte abschmiert, wie es – wie nicht anders zu erwarten – von manchem Politiker im Vorfeld grummelig (oder ertappt) befürchtet wurde. Klar, wenn „Waddehaddedudedaaa“ einen Polittalk mit Preisgeld startet, scheucht das erstmal allerhand Pack auf. Aus diversesten Gründen: Ob nun alternde Politikerleichen in alternden Amtsstrukturen ihren gewohnt-geregelten Gang in Bedrohung sehen, oder schlicht Angst umgeht vor der neuen deutschen Generation (wie auch immer die sich in tristen Büros ausgemalt wird) wie vor einem lang verlachten Gespenst – Nicht, dass die dahintaumelnde Jugend noch anfängt geschlossen zur Urne zu schreiten – tatsächlich informiert, womöglich noch … Oder eben bloß das übliche Blätterwaldgeraschel, heutzutage freilich eher Blogosphären- und Onlinenewsportal-Geklicke. Überall wird gemutmaßt, ge-„erhobener-Zeigefinger“-t oder einfach werbetrommlerisch Zaunpfahl-gewunken (liebe Bild-Zeitung …). Macht nichts, im Gegenteil: Schön, dass die abgründigen Meinungen, die früher nur im geschlossenen Bekanntenkreis zum Besten geraunt wurden, heute in der Anonymität des Internets fröhlich altklug in die Welt geschissen werden – so erkennt auch der letzte Abwinker heute, dass Deutschland noch immer ein Rechtsextremismusproblem hat (und zwar nicht nur in pressetauglicher terroristischer Ausprägung …), wenn er sich nur mal in den News-Kommentaren aller bekannteren Tageszeitungen umschaut. Aber kehren wir zur Sendung selbst zurück, statt ihren medialen Vorlauf verächtlich zu beprangern.
Nun gut – auf jeden Fall zeigte sich im Laufe der … sagen wir es folgendermaßen: “manchmal fast schon zu kuschelig einhelligen”, so vor sich hin plätschernden Konversation (ja, dieses Wort erscheint in der Tat angemessen), dass Raab offenbar wirklich vor hat, es irgendwem (vermutlich sich selbst) zu beweisen – und seine Politikergäste davon so irritiert sind, dass sie dem brüchigen Frieden nicht trauen, als drohe gleich eine Mats eingespielt zu werden, auf dem die TV-Total-Redaktion eine Bundestagsdiskussion mit lustigen Pupsgeräuschen und einer schlüpfrig vor den Kopf stoßenden Neu-Synchronisation veredelt hat …
Die drei Themen der Sendung – Reichensteuer, Energiewende, soziale Netzwerke – werden eingeleitet jeweils mit einer etwas zu sehr auf „cool“ getrimmten Cartoon-Animation, begleitet von einer sympathisch im Ohr schmerzenden Frauenstimme, die kindisch-provokant die mutmaßlich naheliegendste Lösung zum entsprechenden Problem rausquängelt. Aber Stefan Raab behält auf zivilisiertem Wege die Kontrolle über die Teilnehmer; nur selten stolpern diese durcheinander, wie es uns ja schon von den öffentlich-rechtlichen Formaten angewöhnt worden ist. Der fein nuancierte lockere Ton tanzt überraschend geschmeidig und überhaupt nicht aufdringlich auf den gehaltvolleren Äußerungen der Gäste – und wird dabei von Raabs moderatorisch intelligent gestreuten, meist sachlich-provozierenden Einwürfen gelenkt.
Die inhaltlichen Positionen der Parteifiguren seien den werten Lesenden an dieser Stelle gnädig erspart, beschränkte es sich doch letztlich auf “die Klassiker”, die Interessierte zuhauf im Netz und anderswo finden können. Interessanter also wäre die Gesprächsführung selbst – die von den Teilnehmern im Vorfeld vermutlich befürchtete “Gefahr Raab” war ja anscheinend entschärft – oder hinter Ehrgeiz zurückgetreten – und langsam ließ man die Deckung sinken in der Runde, ging beherzter zur Sache. Die Wildcard-Glückliche, die sich schon zu Beginn (entweder einfach schicksalhaft, oder gar die Schauspielerin-Hypothese untermauernderweise deutbar als “extra fürs Pro7-Quotentreiberpack” …) selbst den Spitznamen “Geile Drei” auferlegt hatte, trat weiterhin selten aber bestimmt in Aktion mit recht eingängigen aber differenzierten Beiträgen. Alles in Allem aber war es nun keineswegs so, als könnte sie sich ernsthaft mit der Eristik von Berufsargumentierern messen. Von den vier Politikern fiel im Grunde keiner besonders unglücklich auf, während vermutlich am ehesten Herr van Aken von der Linken sogar ein Quäntchen an Wählergunst hat umschwingen lassen können – einfach indem er mit den hartnäckigen Klischees über die Linke (“SED”, “DDR”, lauter böse Wörter …) aufräumen konnte, die sicher die politisch Uninteressierten bisher noch am ehesten mitbekommen haben werden in unserer werten Gesellschaft.
Nur vervollständigenderweise erwähnt seien hier im Übrigen die nervenstrapazierenden Zwischensequenzen mit typischem Castingshow-Charakter, bei denen Fernsehzuschauer nach und nach die Diskutanten “rausvoten” durften (für 50 Cent pro SMS), immer nach einem der Hauptthemen, wobei nach dem dritten Thema also aus Dreien der Gewinner gewählt wird (Geld, ja – aber nur, wenn die titelstiftende „Absolute Mehrheit“ geknackt wird). Gesiegt hat letztlich Wolfgang Kubicki – doch wohl eher als Charakter, denn als wirklich Wählerstimmen-relevanter Parteivertreter. Zu allem Überfluss dieses ohnehin schon fremdkörperartigen Runden-Votings samt obligatorischer Gewinnspielerinnerung, im Rahmen dessen dann jeweils Herr Limbourg auch mal seine Expertensicht auf den Gang des Gesprächs und seine Expertenprognose fürs Voting selbst absondern durfte, galt es die Zwischenstandsberichte besagten Votings – jeder einzelne dabei wie ein Riss durch die jeweils gerade aufkeimende Diskussion der Hauptthemenblöcke – auch noch immer mal wieder stoisch zu ertragen. Etwas zu bemüht mit Raabs easy Gangart und dessen geschickt platzierten Punchlines mitzuhalten, verkümmerten dem armen Herrn Limbourg bei diesen Gelegenheiten hier und da die leisen Pointen in der Aura des “Showtitanen” … Nicht schlimm, den wenigsten wird es aufgestoßen – oder auch nur aufgefallen sein, von den Fernsehzuschauern.
Auf jeden Fall blieb am Ende des Abends eine Talkshow, die etwas zu oft von Werbepausen und lustlos auf “spannend” moderierten Balkendiagrammen unterbrochen wurde, aber unterm Strich keine ernsthaften Vorwürfe an Stefan Raab zulässt. „Im Gegenteil!“, will man fast sagen – nicht wegen der konkreten Show heute Abend, sondern mit der orakelnden Prognose, dass hier zweifellos ein Format geboren ward, welches Gegnern einer stärker zu fördernden Direkt-Demokratie ein kleines bisschen von der Angst vor der Ochlokratie nehmen könnte, vor der Herrschaft des Pöbels, die droht, wenn sie plötzlich mit ihrer ständig schwankenden Stimmung ihre Unwissenheit direkt in Regierungsentscheidungen hineinblöken könnte – diese bisher doch so bequem von all den Massenverführern dressierte Mehrheit an … letztlich wohl nur statistisch relevanten, im Politiker-Jargon längst zu abstrahierten “Wählerstimmen” verroutinierten – Menschen, die das Bürgerrecht des aktiven Wahlrechtes innehaben – die aber leider einfach oft viel zu uninformiert sind und vor allem auch un-willig, selbst zu denken.
Ob nun das Selbstdenken beim Durchschnitts-Zuschauer dieser Sendung geweckt wird, darf bezweifelt werden (so sehr es auch die Hoffnung daran immer gilt aufrechtzuerhalten …). Aber zumindest “unabsichtlich” kriegen wohl alle eine wohl dosierte Ladung politische Bildung ab, die die Show aus egal welchen Gründen kucken – und wenn auch nur, weil es das neue Stefan Raab-Produkt ist … Und in Zeiten der geschickt beschworenen “Politikverdrossenheit”, insbesondere der Jüngeren – da ist man doch auch über den kleinsten Riss in der Wolkenwand aus halb-ernstgemeintem Gutmenschlertum schon dankbar.
Trotzdem bedenke man stets: Überall wo Meinung Monopol hat, kreisen die Geier schon. Und ist es wirklich realistisch zu glauben, dass der krankhafteste und gleichzeitig sympathischste Narzisst im deutschen Fernsehen nichts weiter im Sinn hat, als sich im Glanz seiner Allround-Kompetenz zu sonnen (von rein prinzipiellen Motiven wird wohl nur der letzte Optimist ausgehen …)? Selbst wenn – traut man Raab wirklich zu, dass er auch auf Dauer gesehen nicht der Versuchung erliegt, seine bisherigen Omnipotenzfantasien bezogen auf die bundesweite Medienlandschaft auch mal in Richtung Bundespolitik auszuweiten?
Brauch Deutschland am Ende gar einen neuen „lieben Papa“, der sich Silvio Berlusconi und Rush Limbaugh zum Vorbild genommen hat? Nein, bisher sollten wir nicht hysterisch werden, wie wir es ja gerne tun hier in „Schlaaaand“. Die neue Show von Stefan Raab ist rein objektiv, als neue Fernsehshow betrachtet, erst einmal nicht preisverdächtig – aber solide. Als Schwergewicht ist die Show zu betrachten, sieht man sie als Medium zur Politikbegeisterung, das heißt zur Begeisterung, also zu einem Beleben des Geistes, sowohl der aufgescheuchten alten Garde im Bundestag, als auch der lange verantwortungsloserweise zu Verantwortungslosen erzogenen Privatfernsehensklaven und ihres Politikverständnisses. Ob dieses nun aus Hartz-4-bedingtem TV-Programm-Auswahlmangel erwachsen ist, oder aus noch fragwürdigerer Hippster-Attitüde oder jenem pilzartig hervorsprießendem Neu-Gelehrtentum auf der traurig-leicht durchschaubaren “jung geblieben”-Schiene, welches (wiedermal?) immer mehr zu diagnostizieren ist auf manch Campus-nahem Gefilde …
Aber gut – wie viel Effekt bleiben wird, wenn der erste Dunst verzogen ist, … die Zeit undso, kennt man ja. Für den Moment gemischte Gefühle, Hoffnung aber überwiegt noch deutlich. Ans Gute glauben – aber es nie erwarten natürlich. Und Enttäuschungen dankend annehmen, wenn sie dann doch kommen – besser, als ewig im Schein zu verharren.
Also heroisch in den Äther verkündet: „Ob Raab nun die Weltherrschaft anstrebt oder doch vor lauter Messias-Syndrom “nur” das Land retten will – wir beobachten dich, Stefan!“ … nichts anderes willst du natürlich, als Kind deiner Quoten. Also beweis es dir selbst, beweis es uns allen!
Letztes Fazit: Schlussspruch gelungen – nochmal den “guten Alten”, den charmant-dreisten Sprücheklopfer (sinngemäß: “wenn´s Ihnen gefallen hat, super – wenn nicht: Is mir doch scheißegal, höhöhö …”) hat Raab raushängen lassen, wie´s sich gehört! Kumpane Limbourg bleibt leider auf schwierig zu fassende Art und Weise eine skurrile Fehlplatzierung, mehr Mitleid erregend als Kompetenz ausdünstend. Aber: “Er hat sich stets bemüht” (und nicht im Zeugnis-Code gesprochen; aufrichtig positiv gemeint).
Ach, und: Richtig, eine Rezension war das hier nicht – erwischt. Hier schrieb halt auch kein [sic]
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