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Ein Dialog: Von der Wissenschaft und ihren Grenzen

25. Januar 2013

Philalethes (ach-so-weiser Esoterikfreund): So sage ich nur: Die Wissenschaft hat – bei allen Erfolgen, die sie vorzuweisen hat – deutliche Grenzen in ihren Möglichkeiten der sogenannten Wahrheitsfindung.

Aristoteles (Stellvertreter der modernen Wissenschaften): Oh Mann … Ich schenk´dir zum nächstbesten Anlass mal ein Buch von Richard Dawkins – Wann ist dein Geburtstag?

Philalethes: Wann “mein Geburtstag” ist, fragst du mich? Jeden Tag müsste ich ihn feiern! Oder nie.

Aristoteles: Ja, ja … esoterisches Gewäsch, alles ist schön, blabla … Sag es mir doch bitte, ohne dich in Paradoxien zu flüchten!

Philalethes: Das letzte, das ich dir anzubieten habe, wäre vielleicht folgende Formulierung: Ich werde seit mindestens 13.7 Milliarden Jahren in jeder verstreichenden Sekunde rund 2 mal 10 hoch 43 mal wiedergeboren – und sterbe gleichzeitig in jedem dieser Momente.

Aristoteles: Okay, ich seh schon … mit dir ist sich in Worten nicht zu verständigen, du Verrückter! Offensichtlich hast du Verblendung mit Erleuchtung verwechselt, du armer Teufel …

Philalethes: Vielleicht, vielleicht nicht. Aber glücklich bin ich. Und wenn dich mein weltfremdes Geschwätz amüsiert, freue ich mich aufrichtig mit dir, dass du dich so sehr an deiner geistigen Überlegenheit zu ergötzen schaffst.

Aristoteles: Aha. Na dann wirst du in der Tat glücklich sein bis an dein Lebensende. Denn mit deiner Einstellung kann die ganze Gelehrtenwelt nur über dich lachen. Stört es dich denn wirklich gar nicht, dass alles, was die Wissenschaft weder beweisen, noch widerlegen kann, für immer ungewiss bleiben muss?

Philalethes: Wie kommst du darauf? Was macht denn eine Erkenntnis für die Wissenschaft legitim, wenn sie doch selbst immer nur Dinge anerkennen darf, die zwar bisher nicht widerlegt werden konnten – aber eben auch niemals endgültig zu beweisen sind?

Aristoteles: Ist das eine ernst gemeinte Frage? Du bist doch nun kein unvernünftiger Mensch und müsstest sehr wohl wissen, dass es in der Wissenschaft eine oberste Regel gibt: Ihre Theorien müssen immer zumindest prinzipiell widerlegbar sein und sich an wiederholbaren Experimenten überprüfen lassen – so kann zwar nichts mit Sicherheit erwiesen werden – aber doch immerhin vieles sicher ausgeschlossen werden!

Philalethes: Wissenschaftlich anerkannte Theorien werden also nur akzeptiert, wenn sie auf Hypothesen beruhen, die experimentell überprüfbar sind?

Aristoteles: Ja, und wenn diese Experimente die zu überprüfende Hypothese dann nicht widerlegen, so oft man sie auch wiederholt.

Philalethes: Heißt das denn, dass die Wissenschaft deiner Ansicht nach immer das Falsche als solches erkennt?

Aristoteles: Freilich – sonst hätten wir wohl kaum all den technischen Fortschritt, oder?

Philalethes: Aber Theorien werden doch auch immer mal wieder durch neue, adäquatere ersetzt, wie Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie zum Beispiel die altehrwürdige Newton´sche Mechanik ersetzt hat!

Aristoteles: Aber die Newton´sche Mechanik gilt unter entsprechenden Voraussetzungen auch nach der ART noch immer – sie ist lediglich vom Hauptgebäude zu einem Bestandteil des neuen Hauptgebäudes degradiert worden.

Philalethes: “Unter entsprechenden Voraussetzungen”, sagst du … sind denn solche Voraussetzungen, unter denen eine Theorie Gültigkeit hat, immer auch mit den wissenschaftlichen Regeln vereinbar? Also mit der Forderung nach prinzipieller Widerlegbarkeit?

Aristoteles: Na, offensichtlich doch! Sonst könnten wir schließlich auch nicht unter den Voraussetzungen hier auf der Erde mit der klassischen Mechanik weiterarbeiten – jedes Mal, wenn du einen Stein zu Boden fallen lässt, überprüfst du höchstpersönlich die Prämisse “unter irdischen Bedingungen führen die Formeln der klassischen Mechanik zu ausreichend genauen Näherungen der übergeordneten ART” – auch du elender Sophist wirst mir doch wohl kaum bezweifeln, dass dieses Stein-Fallenlassen ein sehr wohl gut wiederholbares Experiment darstellt – die Prämisse, unter welcher die Newton-Formeln gelten, also absolut wissenschaftlich ist.

Philalethes: Da kann ich dir kaum widersprechen. Wir sind uns also durchaus einig, dass die Wissenschaft zumindest ein gutes methodisches Konzept entwickelt hat, das sicherstellt, dass ihre Erkenntnisse so etwas sind, wie “der aktuellste Stand des Irrtums” – so hat sich mal ein weiser Mann diesbezüglich ausgedrückt.

Aristoteles: Diesem weisen Mann kann ich mich anschließen, ohne auch nur eine meiner vorherigen Aussagen revidieren zu müssen. Oder bist du auch hier mal wieder anderer Ansicht?

Philalethes: In diesem Punkt erscheinen mir deine bisherigen Aussagen kompatibel mit allem, was wir nun erörtert haben.

Aristoteles: Na siehst du! Lässt du mich also nun in Frieden mit deiner nervtötenden Skepsis?

Philalethes: Das weiß ich noch nicht.

Aristoteles: Ach, was auch sonst!

Philalethes: Lass mich dir nur eine letzte Frage stellen.

Aristoteles: Nun stell sie schon, auf dass wir diese fruchtlose Diskussion hinter uns bringen!

Philalethes: Nun denn, dann beantworte mir doch bitte folgende Frage: Gibt es wirklich keine einzige notwendige Voraussetzung irgendeiner wissenschaftlichen Theorie, oder auch der wissenschaftlichen Methode als solche, die der Forderung der prinzipiellen Widerlegbarkeit entgegensteht?

Aristoteles: Wirklich? Haben wir diese Frage nicht anhand des eben erläuterten Kohärenzprinzips wissenschaftlicher Theorien ausreichend beantwortet?

Philalethes: Das sehe ich nicht. Damit haben wir bloß eine konkrete Theorie betrachtet – jetzt aber frage ich nach allen Voraussetzungen, ganz allgemein also, und eben auch nach der Voraussetzung der Möglichkeit selbst, überhaupt Gesetzmäßigkeiten erkennen zu können um diese dann in Gesetzen und Formeln formulieren zu können.

Aristoteles: Ich geb´s auf! Du willst offenbar die Augen vor der Wahrheit verschließen, Sicherheit im Bezug auf Erkenntnisse scheint dich schlicht zu ängstigen, du bemitleidenswerter Träumer …

Philalethes: Oh, nichts würde mich mehr beeindrucken, als absolute Sicherheit im Bezug auf irgendeine nicht-analytische Erkenntnis! Aber außer rein begrifflichen Tautologien sehe ich solche Sicherheit eben nicht.

Aristoteles: Dann musst du blind sein. Denn das Theoriengebäude der Wissenschaft ist auf einem so soliden Fundament erbaut, dass es mit absoluter Gewissheit niemals wird vollständig einstürzen können. Wenn auch immer wieder prachtvolle Anbauten nötig – oder sagen wir es lieber viel fröhlicher: wenn auch immer wieder prachtvolle Anbauten möglich sein werden, um dieses Gesamtkunstwerk noch bemerkenswerter zu gestalten!

Philalethes: Deine Euphorie für dieses Meisterwerk an geistiger Baukunst erfüllt mich mit Freude, mein selbstsicherer Freund! Und nur, um das noch einmal klarzustellen: Ich bewundere die Hervorbringnisse der Wissenschaft ebenso sehr! Dennoch – sage mir, wie du den Obersatz, die allererste Prämisse aller Kausalitätserklärung bewertest; wird auch dieser den wissenschaftlichen Anforderungen gerecht, wenn man sich selbst gegenüber aufrichtig ist?

Aristoteles: Wäre er das nicht, wären wohl kaum alle Theorien so nützlich, wie sie es sind, oder?

Philalethes: Es könnte doch auch ein beachtlicher Zufall sein, dass diese Theorien alle so gut funktioniert haben bisher. Ist es nicht eine Hypothese – wenn auch eine durchaus theoriefähige – dass die Sonne morgen aufgeht?

Aristoteles: Du hast offenbar den großen Wittgenstein gelesen, gut für dich! Aber was hat das mit irgendeinem Obersatz zu tun, der angeblich nicht den wissenschaftlichen Ansprüchen genüge? Wir waren uns doch bereits einig, dass die Wissenschaft in ihrem aktuellsten Stand “nur” der aktuellste Stand des Irrtums sein kann …

Philalethes: Nun, ist nicht Voraussetzung dafür, dass man Kausalität erklären kann, dass es Kausalität überhaupt gibt?

Aristoteles: Du willst also nun auch noch in Zweifel ziehen, dass alles eine Ursache – oder, bevor du mir wieder die Worte im Mund verdrehst – dass alles einen Grund, sei es nun Ursache, Motiv oder Bedingung, hat?

Philalethes: Wahrscheinlich erscheint es mir, keine Frage.

Aristoteles: Aber dennoch hegst du Zweifel?

Philalethes: Das ist an dieser Stelle irrelevant. Entscheidend ist doch, wenn wir die Wissenschaftlichkeit dieser Prämisse der Kausalität überprüfen wollen, ob wir diese Prämisse anhand von Experimenten überpüfen können, in jener Weise, wie du es mir vorhin in aller Deutlichkeit dargelegt hast, dass es die Methode der Wissenschaft ist.

Aristoteles: Ja, und nun? Siehst du denn nicht überall, wo du auch den Blick hinwendest, dass Kausalität zu entdecken ist? Auch, wenn sie manchmal nicht ganz offensichtlich sein mag.

Philalethes: Klar, nachweisen lässt sich Kausalität an vielen Stellen; doch ließe sie sich auch gänzlich widerlegen?

Aristoteles: Natürlich doch! Wenn du vermutest, dass das Fenster dort zerspringt, wenn du in seine Richtung sprichst: “Zerspringe, Fenster!”, dann wird es wohl kaum zerspringen. Und damit hättest du eindeutig, und beliebig oft wiederholbar widerlegt, dass zwischen dem Befehl zum Zerspingen und dem Zerspringen selbst ein Kausalzusammenhang besteht.

Philalethes: Damit hätte ich allerdings diese gewagte Hypothese einer derartigen Kausalität widerlegt. Aber du hast hier nicht mit offenen Karten gespielt! Still und heimlich hast du nämlich die Kausalität im Allgemeinen, nach der ich gefragt hatte, durch einen konkreten Kausalzusammenhang ersetzt, dir also eine Homonymie zu Nutze gemacht, um meine – zugegeben, bisher nur implizit geäußerte – These zu widerlegen, dass die Kausalität als solche, also als leitendes Prinzip der gesamten Natur, nicht widerlegbar ist.

Aristoteles: Mensch, du bist mir aber auch einer! Erwartest du nun etwa, dass ich dir jede auch nur denkbare Begebenheit im Universum aufzeige und die dazu gehörige Ursache finde? Zumal selbst bei Dingen, wie den bis dato nur statistisch beschreibbaren Gesetzen der Quantenmechanik und dergleichen, doch immer noch bisher unentdeckte Variablen im Spiel sein könnten … Max Planck zum Beispiel hat einst sehr deutlich dargelegt, dass statistische Gesetzmäßigkeiten immer nur dann als solche existieren können – also von Nutzen sein können, indem sie tatsächlich zu brauchbaren Vorhersagen führen – wenn man hinter ihnen – möglicherweise auch zunächst unentschlüsselte – dynamische Gesetze annimmt. Auch der scheinbare Zufall also folgt letztlich zwangsläufig determinierenden Gesetzen.

Philalethes: Plädoyer abgeschlossen – wenn du mir den platten Spruch gestattest …

Aristoteles: Was redest du? Inwiefern soll nun irgendetwas bewiesen oder widerlegt sein?

Philalethes: An dieser Stelle halte ich es für am vielversprechendsten, den Dialog abrupt zu beenden – denn nichts birgt größere Chancen in sich, den geistig fähigen Gesprächspartner zum eigenständigen Denken anzuregen, als ihn mit einer wuchtigen Sphinx vor der Nase stehen zu lassen. Also mach´s gut, mein Freund! Auf dass du noch Großes leistest, in der wunderbaren Welt der Wissenschaft!

From → Literatur

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