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„Der Hüter der Schwelle“

31. Januar 2014

Interpretation eines „Mysterienteppichs“ …

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Gemälde; Acryl auf Leinwand

Einleitung

Als knappste Charakterisierung des Gemäldes kann seine Klassifizierung als „Mysterienteppich“ gelten.

Demnach vermittelt das Bild angeblich in irgendeiner noch näher zu erforschenden Art und Weise ein „Mysterienwissen“, sprich: ein religiös-mystisches „Geheim“-Wissen (also ein solches, was zumindest nicht Allgemeinwissen ist und auch in der Regel nicht zur Dogmatik einer – größeren – organisierten Glaubensgemeinschaft gehört). In Wahrheit freilich setzt das Bild lediglich ausgewählte Teilbereiche eines weitgehend „anerkannten“ Allgemeinwissens (bzw. des naiv-menschlichen Welterfahrens) zu einem kohärenten Gesamtsystem zusammen – zu einem religiösen Weltbild.

Sehr vereinfacht könnte man vielleicht sagen, dass scheinbar ausnahmslos jede Spielart der Mystik aus egal welcher Kultur und Epoche sich mit der spezifischen Relation beschäftigt, in der der einzelne Mensch zur Welt steht (und damit freilich auch indirekt der „Mensch im Allgemeinen“ – wobei letzteres dann schon deutlich in die Philosophie hineinreicht, also nicht mehr „bloße“ individuelle Mystik ist). Gegebenenfalls wird dabei noch ein ausdrücklicher „Gottesbegriff“ (sei es ein „Brahman“ oder eben ein „Gottvater“) in dieses Grundschema mit eingebaut.

So ergibt sich stets eine Grundproblematik, die es im Rahmen der mystischen Praxis zu überwinden gilt. Und diese Grundproblematik wird sehr häufig anhand einer Triade oder eines Dualismus erörtert.

Ein universales Merkmal (echter) mystischer Tradition ist dann noch, dass die Lösung der jeweiligen Grundproblematik in jedem Fall durch den Suchenden selbst zu finden ist – und nur durch ihn selbst kann sie gefunden werden. Bei besonders philosophischen Geistern kann es zwar passieren, dass sie „ihre“ Frage zur „Frage der Philosophie überhaupt“ (v)erklären – dadurch liefern sie in ihrem Werk dann eine schöne Chronik eines spezifischen Entwicklungsprozesses: des Prozesses, wie der jeweilige Denker selbst, als Person, sich seine eigene Formulierung der individuellen „Grundproblematik“ erst erarbeitet und dann möglicherweise auch eine Lösung dieser Problematik findet. Doch am Ende muss jeder Leser dieses Werkes zunächst die Terminologie des Autors erlernen, sie also mit der eigenen Terminologie, mit dem eigenen Weltbild abgleichen, um den gelesenen Text überhaupt verstehen zu können. Also kommt auch der Leser nicht drumherum, sich seinen eigenen, individuellen Pfad zu bauen – obwohl er doch eine scheinbar so pingelig genaue Weganweisung durch den Verfasser hat bereitgestellt bekommen …

So ist die eher „philosophische“ Formulierung der all-mystischen Grundproblematik etwa jener Gegensatz von „Subjekt“ und „Objekt“ oder der von „Geist“ und „Natur“ – und in jedem Fall möglichst abstrakt, „allgemein“ gehalten. Ein sich zu einer bestimmten Religion bekennender Mystiker dagegen würde wohl eher von der Beziehung zwischen „Gott“ und seinem eigenen „wahren Selbst“ oder ähnlichem sprechen, beziehungsweise schlicht von seiner „persönlichen Beziehung zu Gott“. Der Psychologe würde vielleicht vom „Individuationsprozess“ statt von der „Erleuchtung“ sprechen – und seine Grundproblematik wäre das Verhältnis von sich als „Ego“ zu sich als „Selbst“.

Und noch vielfältiger als die Möglichkeiten, sich seine individuelle „Grundproblematik“ zu formulieren, sind dann erst recht die Möglichkeiten der Formulierungen, die anschließend dazu dienen können, die Überwindung dieser Grundproblematik zu erklären – und gleichzeitig wird freilich keine einzige dieser Erklärungen tatsächlich irgendeiner Grundproblematik gerecht. Die Grundproblematik bleibt in der Sprache, in der zwischenmenschlichen Kommunikation (im weitesten Sinne verstanden, also auch „im Bild“ und anderen Zeichensystemen) grundsätzlich unbeantwortbar. Lediglich über die Fragestellung kann man sich halbwegs sinnvoll intersubjektiv unterhalten.

So kann ein Mysterienteppich, wie das vorliegende Gemälde, als die Schematisierung eines Weltbildes verstanden werden, dessen konzeptionelles Zentrum die Mystik mit besagter jeweilig auserkorener Grundproblematik bildet. Für den „Hüter der Schwelle“, der nun im Folgenden besprochen werden soll, handelt es sich bei dieser „Grundproblematik“ am ehesten wohl um eine Dreiheit aus Welt, Mensch und Gott. Das Gemälde repräsentiert also in seiner Motivik parallel ein Weltbild, ein Menschenbild und ein Gottesbild – würde man also das Gemälde als Dogma auffassen, versinnbildlichte es schlicht eine persönliche „Ideologie“, oder ein „metaphysisches System“. Als Mysterienteppich (bzw. auch schon als „Kunstwerk“) jedoch verwahrt es sich quasi inhärent gegen jede Dogmatisierung: Es bedeutet demnach in aller erster Linie genau das, was der Betrachter (besser: der Interpretierende) in ihm sieht. Nichtsdestotrotz lassen sich natürlich einige „Hinweise“ geben, in welcher Art und Weise man zum Beispiel an die Interpretation des Werkes herantreten kann. Hierzu sind insbesondere Verweise sinnvoll auf etablierte, also „traditionelle“/traditionsreiche Symbole und Symbolreihen, die im Gemälde verarbeitet werden.

Mit zunehmender Erschließung der dargestellten Symbole des Gemäldes ergibt sich aus diesem so eine Art „Landkarte“, auf der neben dem bereits angesprochenen („Gottes-„, „Menschen-“ und) „Weltbild“ auch einige vermeintliche „Pfade zur Erleuchtung“ nachvollziehbar sind, die sich aus diesem Weltbild ergeben. Doch natürlich sind dies zunächst einmal „nur“ Pfade durch die abstrahierten Ebenen der menschlichen Wirklichkeit – inwiefern sie zu subjektiv wertvollen „Pfaden zur Erleuchtung“ werden, entscheidet wiederum allein der Beurteilende.

Abstrakt gesprochen, und ohne auf die konkreten Inhalte einzugehen, könnte man also den vorliegenden Mysterienteppich formal folgendermaßen beschreiben: Es ist die graphische Darstellung eines Beziehungsgeflechts aus Symbolen, die wiederum in mehrere verschiedene Symbolreihen gruppiert werden können (sortiert nach geistesgeschichtlicher Assoziation und ideengeschichtlicher Tradition etc.), wodurch auch die Symbolreihen selbst miteinander in Relation gesetzt, und ihre jeweiligen (teilweisen) Entsprechungen miteinander aufgezeigt werden. Aus diesem Beziehungsgeflecht ergibt sich so ein metaphysisches Weltbild, das in Bezug gesetzt wird zur subjektiv erfahrbaren menschlichen Alltagswirklichkeit, aus dem sich also indirekt auch Richtlinien für ein persönliches Handeln nach diesem Weltbild ableiten lassen.

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Der Hüter der Schwelle zeigt nun zu diesem vorgeblichen Zweck den mythischen „Weltmenschen“, nach jüdischer Tradition Adam Qadmon genannt, und wie er aus „Ayn“ ganz oben in der Mitte, aus dem ominösen „absoluten Nichts“ heraus, erst als „Ayn Sof“ emaniert (als das Ohne-Ende, die Unendlichkeit; „Schimmer der Transzendenz in der Immanenz“), gleichzeitig das „Ayn Sof Aur“ (unendliches Licht; ~ „reinstes Bewusstsein, das die ganze Welt durchzieht“) wird, und sich im Prozess einer ewigen Selbstbegrenzung („Tzimtzum“) wie durch ein Prisma in die zehn „Aspekte der Macht Gottes“ bzw. die zehn „Schöpfungskräfte“ (~ in die immanente „Natur und Geisterwelt“) ausdifferenziert – und diese Schöpfungskräfte bilden durch die Prozesse ihrer eigenen Energie die geformten Strukturen der physikalischen „Raumzeit“ und allem, das darüber hinaus existiert; und zwar bilden sie all dies ausnahmslos heraus aus einem (an dieser Stelle – im Gegensatz zum transzendenten „Ayn“ – durchaus physikalisch zu verstehenden) Vakuum, welches ihnen als Quelle und grundlegendster Bezugspunkt dient. Das Ergebnis sind also die Strukturen, die in ihrer Gesamtheit den ganzen Kosmos, in allen erdenklichen „Dimensionen“ darstellen. Und dieser Kosmos hat in der abstrakten Zeitlosigkeit (in Platons „Ideenhimmel“ sozusagen) die (gedankliche) „Form“ des „Ursprünglichen Menschen“, des Adam Qadmon.

Er ist daher der „Hüter der Schwelle“, der zunächst Lichtträger – und damit Lichtbringer ist, den es aber letztlich zu überwinden gilt, um (auch) hinter ihn blicken zu können – und nur in ihm steckt das Wissen- bzw. durch ihn erreicht uns als Menschen das Wissen, das erst zu seiner Überwindung führen kann. Aber er selbst ist keinesfalls die Erlösung. Oder, etwas weniger in religiösen Bildern gesprochen: Nur, wer die Welt studiert und hinterfragt – ganz allein, nur für sich – nur ein Solcher kann die Welt zumindest insoweit korrekt einschätzen, als dass er seinen eigenen „individuellen“ Bezug zum ihn Umfassenden unter präzise abgesteckten Prämissen erfasst hat und er sich dieses Seins-Zusammenhangs-Verständnis jederzeit gegenwärtig halten kann, was auch immer er gerade dabei („körperlich“) tut und erledigt in seinem Alltag.

Aber erst, wenn er all dieses Wissen dann irgendwann ruhen lässt, sich gänzlich auf sein Unterbewusstsein (das ja auf alles erworbene Wissen auch im Zweifelsfall zugreift), auf „sich selbst“ eben, verlässt – dann hat er die Chance, dieses (abstrakte, theoretische) Wissen mit der Welt selbst („wieder“) zu verschmelzen, indem er die Welt – und zwar die „vollständig durchschaute“ Welt, also den Adam Qadmon als personifiziertes Universum* – indem er diesen Hüter der letzten Schwelle zwar „überwindet“ – und so gewissermaßen selbst „zu Gott in der Welt wird“ – aber dabei eben dennoch sein Dasein als konkretes Individuum fortführt – sich also gleichzeitig vollständig von dem Einen und Einzigen Gott abgrenzbar und vor allem zutiefst abhängig von ihm (als dem ewigen Gesetz der Welt und damit auch jedes persönlichen Schicksals) versteht und erlebt. Er weiß dann, dass er somit mit der Rückkehr in die Welt auch den „Hüter“ nicht länger als einen Solchen zu verstehen hat, sondern viel mehr nun als Rohmaterial, mit dem gearbeitet wird.

Es ist deshalb in gewissem Sinne zunächst eine Profanisierung ausnahmslos alles Wirklichen (das vorher durch den „naiven“ Menschengeist noch zum Teil geheiligt, zum Teil verteufelt – und zum Großteil wohl schlicht ignoriert wurde …) durch das sich selbst erkennende Bewusstsein, um dadurch letztlich alles so „Erniedrigte“ als Ganzes heilig zu sprechen. Man bezwingt diesen letzten Hüter, den „Luzifer“ im wahren (d. h. nicht allein negativ-konnotierten) Verständnis des Begriffs – indem man sich in ihm selbst erkennt … und dann einfach „loslässt“, als Luzifer selbst abstirbt (Stichwort: „Crushing the Serpents Head“ …) und man dadurch in demjenigen aufgeht, was dahinter noch liegt: Das Jenseits aller Vernunft, alles Rationalen, alles Relationalen und stets „nur“ Relativen, alles wenigstens prinzipiell Analysierbaren.

Diesen jenseitigen „Ort“ zu erhaschen allein kann schon zu Glückseligkeit führen – unabhängig davon, ob man genau begreift, was man da intuitiv geschaut hat, das einem dieses innere Gleichgewicht zu verleihen scheint (hier haben leider Gehirnwäsche-Sekten und ähnliche Vereine eine gewisse Angriffsfläche bei ihren Opfern, indem sie diesen Zustand der Glückseligkeit herbeiführen, aber ihn dabei mit Lügen begründen, die den Glücklichen dafür abhängig von dem jeweiligen „Verein“ machen). Doch hat man diesen „Ort“, dieses „Reine Land“ der Buddhisten einmal bewusst entdeckt, erforscht und sich dort eingerichtet – dann entscheidet sich, ob man zurück in die Welt kehrt, oder doch die endgültige Askese wählt (im Sinne etwa Schopenhauers Philosophie der „Weltwillensverneinung“).

Gesetzt, man kehrte zurück … Dann ist alles Wissen und die Folgen daraus, also der inzwischen abgestorbene „Leib Luzifers“**, der Ergebnis der eigenen Selbstaufopferung des Mystikers ist, von nun ab ein höchst fruchtbarer Boden, aus dem ein Unendliches an Ressourcen für neue Schöpfungen – geistige, wie weltliche – entspringt.

Man selbst als „Person“, das heißt sowohl als physischer Körper als auch als soziales und „geistiges“ Wesen, ist nun die erste und letzte Quelle, aus der geschöpft wird – aber als solche eben auch kein Stück (mehr) mehr. Innerlich lösen sich die letzten kleinen („psychischen“) Konflikte (und seien dies „nur“ nervige Angewohnheiten, die keinerlei Leidensdruck erzeugen). Äußerlich kehrt man endgültig zurück in den Alltag.

Lediglich der fundamentale Blickwinkel auf das eigene Leben hat sich dann einmal komplett umgedreht: während man anfangs stets (oder zumindest meist) von sich selbst in die Welt geschaut hat, schaut man jetzt immer aus der Welt in sich selbst zurück.

Bevor nun auf die einzelnen Elemente des Gemäldemotivs näher eingegangen werden kann, gilt es zunächst das Grundsätzliche zu klären: den symbolischen Rahmen nämlich.

*: In seiner anschaulichen Form übrigens wird der „Adam Qadmon“ (sprich: das „Urbild des Kosmos“) als baum- oder pflanzenartig gedacht; vgl. an dieser Stelle auch die vielen „Weltenbaum“-Geschichten, die kulturübergreifend rund um den Erdball erzählt werden; der Baum von Eridu bei den Sumerern/Babyloniern; Simurgh bei den Persern; Yggdrasil bei den Germanen; zudem taucht ein Ähnliches auf bei einigen kleinen uralischen Völkern in Sibirien, die ihre mythische Tradition bis heutzutage halbwegs bewahren konnten; und auch bei Indern und Mayas finden sich Weltenbäume.

**: Vom „abgestorbenen Leib Luzifers“ ist hier deshalb die Rede, weil ja der „Geist Luzifers“ zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr als solcher existiert, da er sich als Eins mit dem transzendenten „Gott“ erkannt hat. Der Mystiker hat dann aufgehört, sich mit seinem erlangten „Wissen“ zu identifizieren, da er es als „bloß Relatives“ erkannt hat – von nun an ist es also wirklich „nur“ noch Mittel zum Zweck.

1. Das „Grundgerüst“ – die wichtigsten Strukturierungskonzepte und Symbolreihen

1.1.Die 3 Strukturierungskonzepte

1.1.1. Die 10 (+1) kabbalistischen Sephiroth in ihrer schematischen Anordnung („Baum des Lebens“/“Baum der Erkenntnis“/“Leib Adam Qadmons“; ~ Struktur der („materiellen“ + „immateriellen“) Welt/Struktur Gottes, bzw. des „Weltgeistes“/Struktur der menschlichen Psyche)

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Am vielleicht augenfälligsten am Gemälde ist die Vorherrschaft hebräischer Schriftzeichen: Unter der großen „Überschrift“, die transliteriert Adam Qadmon (~ ‚der ursprüngliche Mensch‘) lautet, sind da im Besonderen die Namen der 10 sogenannten Sephiroth* zu nennen, im Schema des „Lebensbaumes“ angeordnet:

Oben die Krone, die erste Sephira, mit Namen Kether (~ ‚Turban; Krone‘).

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Darunter die erste von drei Dualitäten, als Waagrechte aus Chochmah (rechts; ~ ‚Weisheit’/Intuition) und Binah (links; ~ ‚Verstehen’/Intelligenz), die jeweils die Spitze der beiden Säulen zieren (die „Schin-Horizontale“).

schin-horizont

Noch eine Waagrechte tiefer, auf mittlerer Höhe der Säulen (auf der „Aleph-Horizontale“), finden sich Chesed (rechts; ~ ‚Güte’/Gnade) und Geburah (links; ~ ‚Strenge’/Gerechtigkeit).

aleph-horizont

Die sechste Sephira nun ist, wie die erste, eine Einzelne, die in der Mitte unterhalb der zweiten Waagrechten („auf der Sonne“) sitzt und Tipheret (~ ‚Schönheit; Glanz‘) heißt.

tipheret-manipura

Die dritte und letzte (unterste) Waagrechte des Sephiroth-Schemas beinhaltet Netzach (rechts; ~ ‚Fruchtbarkeit; Sieg‘) und Hod (links; ~ ‚Ruhm; Glanz‘) und stellt die „Mem-Horizontale“ dar.

mem-horizont

Wiederum als Einzel-Sephira folgt nun Jesod (~ ‚Fundament‘), als Inschrift auf dem Schild an der Kette vor dem Vorhang, der „ins Innere“ (= überhaupt erst ins „Volumen“, in die Krone des Weltenbaums) zu führen scheint.

jesod-svadishtana

Noch ein Stück weiter unten vervollständigt dann die zehnte und (vor erst) letzte Sephira Malchut (~ ‚Königreich‘) den Weltenbaum als dessen Stamm, um den sich die Schlange in dreieinhalb Umwicklungen windet.

malchut

jachinboaz

Die beiden Säulen tragen zudem auf ihren Sockeln die hebräischen Namen Jachin (~ ‚ich werde errichten‘) und Boaz (~ ‚in Ihm (Gott) ist Stärke‘), geben sich also als jene von den Freimaurern symbolisch verwerteten Säulen aus, die vor Salomos sagenumwobenen Tempel von Jerusalem gestanden haben sollen.jesod-svadishtana

Auf dem purpurnen Vorhang steht „TORAH“ (= ‚Gesetz‘), denn mit dem Durchschreiten des Vorhangs beginnt man, sich dem Gesetz der Welt bewusst zu nähern.

Links neben der Sephira Chesed erscheint zuletzt noch das berühmte Tetragrammaton, Jod-He-Waw-He –

tetragrammaton

… das ist das Ens Realissimum; als Kurzform des „ehye ascher ehye“ (~ ‚Ich bin, was ich bin/Ich werde sein, was ich sein werde‘), das den hypothetischen Bewusstseinszustand absoluter Achtsamkeit andeutet (Stichwort: bewusst im „Hier-und-Jetzt“-Sein), veranschaulicht in den Texten der Bibel meist im Bild von „Gott als dem Vater“ (z. B. gegenüber der „Natur“ als der „Mutter“), als dem personifizierten Geist des Kosmos, der durchaus auch mit Wenigen von „uns Menschen“, die im „richtigen“ Bewusstseinszustand sind (und im weiteren Sinne: den rechten Lebenswandel pflegen), direkt in kommunikative Verbindung tritt.

1.1.2. Die 22 Trumpfkarten(-motive) des Tarot (die sogenannten „Großen Arkana“)

In der systematischen Verbindung der einzelnen Sephiroth miteinander entsteht erst der eigentliche Lebensbaum aus der schematischen Anordnung dieser 10 Schöpfungskräfte, bzw. dieser 10 „Aspekte der Macht Gottes“: 22 Verbindungslinien, die sich den 22 Buchstaben des (alt-)hebräischen Alphabets zuordnen lassen. Dankenswerterweise kam sogar noch irgendwann einer (war das Papus?) auf die Idee, diesen 22 Schriftzeichen auch die 22 sogenannten „Großen Arkana“ (das sind die Trumpfkarten unterschiedlicher Motive des Tarot-Kartenspiels) zuzuordnen. Die „Erklärung“ hierzu lautet dann in manchen Esoterikkreisen: Die 22 Arkana stammen ursprünglich aus dem „Ägyptischen Totenbuch“ (bzw. stellen sie selbst den Inhalt dieses Totenbuchs dar), das eine Art „Geheimwissen der Alten Menschheit“ in archetypischen Bildmotiven bewahrt. Und diese 22 Motive wurden in verkürzter „Schreibweise“ schlicht als das der Geschichtswissenschaft gut bekannte phönizische Alphabet geschrieben, aus dem sich bekanntermaßen erst das hebräische und später nahezu alle abendländischen Schriftsysteme entwickelt haben. Aber weg von den altehrwürdigen Legenden, die von der werten Wissenschaft längst widerlegt wurden, und zurück zum modernen Tarot, das sich eben hier und da erfreulicherweise mit dieser Herkunftsmythe schmückt …

Diese 22 Bildmotive sind nun im (heutigen) Tarot meist sehr aufwändig gestaltet und bergen jeweils mehrere Ebenen der Symbolik. Nichtsdestotrotz tragen sie traditionelle Namen, die das „Gesamtgeschehen“ mit einer Art Überschrift versehen. In folgender Reihenfolge sind die 22 „Arkana“: 1. Der Magier 2. Die Hohepriesterin 3. Die Kaiserin 4. Der Kaiser/König 5. Der Hierophant 6. Die Liebenden 7. Der (Streit-)Wagen 8. Der Richter 9. Der Eremit 10. Das Schicksalsrad 11. Die Stärke/Kraft 12. Der Gehängte 13. Der Tod 14. Das Maß 15. Der Teufel 16. Der (vom Blitz getroffene) Turm 17. Die Sterne 18. Der Mond 19. Die Sonne 20. Das Urteil/Das Jüngste Gericht 21. Der Narr 22. Die Welt.

Jedes Motiv stellt also offenbar in irgendeiner Weise einen „Archetypus“ dar, womöglich durchaus im Sinne C. G. Jungs zu verstehen**. Und ob der Vielfalt der Symbolik, die auf allen guten Tarotkarten zu finden ist, lässt sich grundsätzlich sehr vielfältig mit diesen Symbolen arbeiten (das ist sogar von manchen Richtungen der zeitgenössischen Psychologie anerkannt) – sofern man sich unter „Arbeit mit dem Symbolischen“ überhaupt etwas sinnvolles vorstellen kann, versteht sich.

Bezogen auf das zu besprechende Gemälde nun sind diese Tarot-Motive vor allem deshalb von Relevanz, weil besagte Verbindungslinien zwischen den Sephiroth, die kabbalistisch den hebräischen Buchstaben entsprechen, auf dem Bild meist durch das korrespondierende Tarot-Arkanum in simplifizierter Form angedeutet, bzw. „ausgeschmückt“ sind (z. B. die Öllampe für den „Eremit“, die Waage für den „Richter“, zwei sich neutralisierende, unterschiedliche Kräfte als abstrakte Wellenlinien dargestellt für die „Stärke“/“Kraft“, usw.).

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1.1.3. Die sieben Hauptchakren des altindischen (Kundalini-)Yoga

Eine dritte wichtige Grundstruktur des Gemäldes ist die senkrechte Mittelachse, die sich aus symbolischen Motiven für die sieben Hauptchakren des altindischen Yoga zusammensetzt:

Oben die Krone, Sahasrara, das Kronen- oder Scheitelchakra.

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Darunter das „Dritte Auge“, Ajna, verbildlicht in einem der beiden altägyptischen Symbole für das „Allsehende Auge Gottes“: das Horusauge (in Abgrenzung zum Auge des Osiris).

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Dann kommt das Kehlkopfchakra Vishudda, das durch aufeinandergepresste Zähne hinter einer dunklen Wolkenfront („stumme Kommunikation“, assoziiert z. B. mit „Bedrohung“ etc.) auch auf die hier „heimlich“ angesiedelte 11., geheime, Sephiroth Da´ath (~ ‚Wissen‘) verweist (die für das „Mystische Wissen“ steht, das sich metaphorisch aus der Kenntnis der übrigen 10 Sephiroth und ihrer Verbindungslinien ergibt – bildet Da´ath doch den Kreuzpunkt dreier Verbindungslinien – von Daleth, Zajin und Quoph – „König, Streitwagen und Sonne“).

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Nach dem Kehlkopfchakra folgt das Herzchakra – genau im Zentrum des Gemäldes – das im Sanskrit Anahata genannt wird und naturgemäß durch ein Herz symbolisiert ist. Auf dessen nähere (formale) Charakteristik wird an späterer Stelle noch eingegangen – nicht umsonst bildet das Herz das Zentrum des Gemäldes.

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Unter dem Herz folgt die „Sonne“ – das Solarplexus-Chakra Manipura, das sich im Gemälde mit der Sephira Tipheret, mit der Schönheit also, deckt.

tipheret-manipura

Unter Manipura folgt Svadishtana, das Sakral-Chakra, symbolisiert durch betende (bzw. „Magie praktizierende“) Hände einer beumhangten Gestalt (vor einem Vulkan, der für innerpsychische Gefühlsausbrüche steht und von der Sonne des stolzen Egos obendrüber teilweise überstrahlt wird …).

jesod-svadishtana

Das unterste, das Wurzelchakra Muladhara wird im Gemälde dann symbolisiert durch die Kundalini-Schlange, die „dort“ (~ „am Grunde des untersten Chakras“) in jedem Menschen ruht, bis sie (durch entsprechende Yoga-Praktiken oder ähnliche Initiierungen) „geweckt“ wird.

Interessant auch für moderne, „wissenschaftliche“ Zeiten sind die (Haupt-)Chakren deshalb, weil sie sich recht sinnvoll auf die von der modernen Psychologie postulierte/anerkannte Struktur der menschlichen Psyche übertragen lassen. Dieser Zusammenhang allerdings kann hier nicht ausgeführt werden und ist bei Interesse an anderer Stelle nachzulesen***.

Sehr grob nur dazu für einen Überblick: „bloßes Sein“/“Wollen“ = untere 2, Chakras Muladhara und Svadishtana; „Fühlen/Empfinden“ = 3. und 4. Chakra, Manipura und Anahata; „Vorstellen/Denken“ = 5. und 6. Chakra, Vishudda und Ajna – das 7. Chakra stellt dann das „reine Subjekt“ dar, also das „leere“ Beobachtende, das zumindest indirekt zum Ich-Bewusstsein führt, sobald es sich in seiner Reflexion im 4., im mittleren „Herz“-Chakra, selbst wahrnimmt. Dort nämlich reflektiert sich die Welt aus der Perspektive des jeweiligen Individuums, es ist die „Spiegeloberfläche“. Erst in der weiteren Entwicklung wird sich dann herausstellen, dass dieser „Spiegel“ in Wahrheit eine Leinwand ist, auf die das „ewige Licht“, das von oben in deinen Geist hineinstrahlt, eine erfahrbare Welt projiziert, die aus dem Nichts des Vorführraumes zu stammen scheint … und nur wir selber wählen, welchen Film wir sehen …

1.2. Weitere konkrete Symbolik und Symbolreihen

Neben den nun umrissenen drei Grundstrukturierungskonzepten der kabbalistischen Sephiroth, der Tarot-Motive und der indischen Chakrenlehre tauchen noch einige Symbole aus anderen Symbolreihen in dem Gemälde auf. Eng mit der Kabbala-Symbolik verbunden ist etwa die freimaurerische Symbolik der „Hiramsmythe“, die sich besonders unten Links in einer Blume zeigt, die aus dem Totenschädel des Großen Baumeisters Hiram erwächst, den einige Machtgierige unter seinen Gesellen kürzlich dahingemordet haben, auf der Jagd nach dem „Verlorenen Wort“, das eben nur der große Hiram kennt – während im Hintergrund bereits diese „drei Mörder“ („JubelA, JubelO und JubelUM“) als Strichmännchen auf dem Galgenhügel aufgeknüpft hängen. Kurz gesagt: Mit dieser Mythe erklärt sich das Prinzip der zwangsläufigen spirituellen Wiedergeburt, nachdem das Ego gestorben ist.

hiram

Hier fällt der Übergang zur Symbolik einer anderen Mysterientradition leicht: Zum sogenannten Christus-Mysterium**** – dieses ist dargestellt in der rechten unteren Ecke des Bildes als („christliches“ Lang-)Kreuz mit einer aufblühenden Rose darauf; im Hintergrund klafft das leere Grab Christi als Symbol der Auferstehung und vorne wird das Wasser vergossen, wie zur Taufe, als der „spirituellen Geburt“ aus dem Wasser des Lebens (also aus jenem der „Vier Elemente“, für das übrigens auch der nach Unten deutende Langarm des Christenkreuzes – „hermetisch“ interpretiert – stehen kann).

christus

Den Symboltraditionen der sogenannten Hermetik entstammen auch die verschiedenen Symbole und Motive, die übers Bild verteilt auf die Vier Elemente verweisen: Alle vier Ecken des Gemäldes entsprechen zum Beispiel je einem von ihnen (im Uhrzeigersinn, links unten begonnen: Erde, Feuer, Luft und Wasser); als stilisierte Zeichen in Rotgelb auf der linken Säule um das große Fragezeichen herum, als welches sich uns „die vielen Antworten“ (= die vielen kleinen Ausrufezeichen im Innern des einen großen Fragezeichens) darstellen, die uns die Welt der „Materie“ in Form einer „objektiv-messbaren“ Welt aus beständiger Substanz zeigt.

elemente

Geometrische Symbole dürfen natürlich auch nicht fehlen: Oben thronen auf den Säulen je ein goldgelbes Penta- und Hexagramm. Links über „Boaz“ strahlt der „flammende Stern“ der Freimaurer(-Gesellen) – allerdings statt dem „G“ ein Ankh-Symbol in der Mitte, das im alten Ägypten für die unsterbliche Seele eines Menschen stand, aber auch für das Leben in der endlichen Welt selbst (speziell auch mit dem Atem alles Lebendigen assoziiert).

pentagramm

Rechts über der Säule „Jachin“ strahlt das Hexagramm, die vereinigten zwei Dreiecke, von denen das eine für „Oben“, das andre für „Unten“ stehen kann (oder für männlich/weiblich; Feuer/Wasser usw.), die „Coincidentia Oppositorum“ im geometrischen Kleid als Symbol des Einzigen Gottes selbst. Und das G … steht vielleicht für Geometrie – oder halt für Gott oder Gnosis oder für den „Großen Baumeister aller Welten“.

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Das Symbol des „Schleiers“, bzw. des Vorhangs, taucht im Gemälde genau dreimal auf: unten bildet der schwere rote Samtvorhang den Einlass „ins Innere“ (der „geistigen“ Welt); in der Mitte gibt ein halb-geöffneter, halb-transparenter Schleier in grünlicher Farbe den Blick auf die Sonne frei, die in diesem Zusammenhang unter anderem für das abstrakte, menschliche Ich-Gefühl (speziell: für den persönlichen Stolz) steht, das naiv meist nur zum Teil richtig verstanden wird, wenn der einzelne Mensch beginnt, in sein eigenes Inneres zu schauen; das obere Drittel vom Innenbereich des Sephiroth-Baumes ist von einem halb-transparenten, rosafarbenen Schleier vollständig bedeckt – das vorerst letzte Drittel des Pfades bleibt also zwangsläufig vernebelt, solange man es nicht selbst erreicht hat. Jedem Schleier ist übrigens auch genau eine der drei „Horizontalen“ zuzuordnen („Mem, Aleph, Schin“).

Doch es finden sich auch manche scheinbar aus ihrem Symbolreihenzusammenhang gerissene Symbole auf dem Bild, wie beispielsweise der Apfel, bzw. die „verbotene Frucht“ (vom „Baum der Erkenntnis“), die einerseits natürlich (speziell in Verbindung mit der Schlange daneben, die sich um den Baumstamm windet) auf den biblischen Sündenfall verweist; andererseits aber auch schlicht die Verbindungslinie zwischen den Sephiroth Netzach und Jesod illustriert, die dem hebräischen Buchstaben Nun – und damit der Tarot-Karte „Mäßigung“ – zugeordnet wird (sprich: als Symbolbild für die Selbstprüfung; „die Tugend der Mäßigung beweist sich ihre Existenz erst in der situativen Verwahrung gegen eine Versuchung – nicht im theoretischen Moralisieren …“, diesen Satz gilt es hier zu lernen …).

frucht

*: Sephiroth = (heilige) ‚Ziffern‘; ~ „Schöpfungskräfte“/“Aspekte der Macht Gottes“

**: Die „Hohepriesterin“ etwa ist recht eindeutig der Anima in Form der „Alten Weisen“ zuzuordnen; der „Teufel“ ist ein klassischer Schatten; viele der „Arkana“ aber sind wohl eher komplexere Beziehungen zwischen solchen „Archetypen“, oder zwischen anderweitigen „metaphysischen Konzepten“, lassen sich also nicht so einfach auf einen von Jung explizit genannten Archetypus beziehen.

***: z. B. Kräuterbüchlein: Buch 2; Kapitel 6 sowie Buch 7; Kapitel 3; vorletzter Abschnitt

****: „Christusmysterium“ am Ehesten noch nach gewissen Rosenkreuzer-Traditionen verstanden; siehe auch Rudolf Steiners Schriften und Vorträge zu diesem Terminus

2. Weltbild, Menschenbild, Gottesbild?

2.1. „Weltbild“

Die symbolischen Relationen auf dem Gemälde, die ausdrücklich die entsprechenden „inneren“ Relationen eines metaphysischen Weltbildes repräsentieren, können nun vor diesem symbolgeschichtlichen Hintergrund wie folgt zusammengefasst werden.

Eine grundsätzliche Tendenz ist zunächst, dass „Oben das Geistige“ und „Unten das Materielle“ sich als die zwei Pole einer Ganzheit gegenüberstehen – und alles dazwischen illustriert dasjenige, was sich uns Menschen als (zunächst subjektive) Wirklichkeit und im Bewussten (im vermeintlich „Inneren“) dann auch als eigene „Seelentätigkeit“ zeigt.

Doch genauer analysiert beginnt der „außerzeitliche“ Vorlauf der Welt, die „Kosmogonie“ im metaphysischen Sinne, natürlich ganz konkret mittig an der obersten Kante des Gemäldes, im weißen Punkt als Ursprung (hebr. Ayn – ‚Nichts‘), der sich als „Ayn Sof“ und hieraus wiederum abgeleitet als „unendliches Licht“ zeigt und in einer „Selbstbeschränkung“ (Stichwort „Tzimtzum“) dasjenige aus sich selbst schafft, was einerseits als „leere Raumzeit“, andererseits aber auch als „Fülle der mannigfaltigen Prozesse“ in dieser Raumzeit erscheint. Diese Paradoxie zeigt sich uns Menschen als „Natur“, aus der dann später das „Geistige“ (und „Seelische“) erst erwächst – und damit eigentlich das „Natürliche“ mithilfe des in ihm wirkenden „Seelischen“ wieder zurück zum „Geistigen“ findet, bzw. sich in diesem selbst erkennt. Erst dieser Aspekt der Kosmogonie bedarf überhaupt des Phänomens der „Zeit“.

dualismus

Auf dem Gemälde ergibt sich diese grundlegende Relation zunächst aus der Zweispaltung des Ursprünglichen in die zwei geometrischen Sterne, unter denen dann aus dem Abstieg in Form der zwei großen Säulen (man erinnere sich: dies sind die beiden von „vor Salomos Tempel“ …) die Zweiheit aus „Gottes Macht“ (links) und „Gottes Liebe/Weisheit“ (rechts) entfaltet: „Gottes Macht“ steht für die – wie aus kosmischer Weisheit angestoßen immerzu stattfindende – zeitliche Entwicklung des Weltprozesses „vom Großen zum Kleinen“; „Gottes Liebe und Weisheit“ dagegen steht für die parallele Entwicklung hierzu, für jene „vom Kleinen hin zum Großen“. Beide Entwicklungs-„Richtungen“ laufen also „in der Welt“ stets gemeinsam nebeneinander her – mal widerstreiten sie einander, neutralisieren sich gegenseitig oder bringen sich in ein schwingendes Gleichgewicht, manchmal schaffen sie gar eine neue Ebene aus den Spuren ihres Konflikts – in jedem Fall stellen sie die zwei Grundtendenzen alles Zusammengesetzten dar, also alles „Innerweltlichen“ im engeren Sinne (bzw. nach modernem naturwissenschaftlichem Verständnis): Synthese und Analyse, Assoziation und Dissoziation – abstrakt dann auch Konstruktion und Destruktion. Und gerade jenes Abstrakte (= das objektiv „Geistige“) ist auch das, was sich aus dem ambivalenten Wirken der (zunächst „toten“) Natur in Form des Lebens eines Tages erhebt und zur „Seelentätigkeit“ lebendiger Einzelwesen wird: Die abstrakten Relationen, empfangen von irgendwoher aus dem „Inneren“ der ausdifferenzierten Gesamtgesetzlichkeit (für diesen Begriff siehe auch noch einmal weiter unten im Text), die das langsam erwachende „reine Subjekt“ zunehmend erhascht, während es seine subjektive (und in erster Linie „selbst-geschaffene“) Wirklichkeit bewältigt; bei den Tieren mag es hier bei bloßen Trieben und Instinkten bleiben, was sich aus diesen „erhaschten Relationen“ der ewigen Gesetzlichkeit für ihr individuelles Verhalten ergibt – und wir wissen nicht einmal, ob die Tiere ihre eigenen Empfindungen als solche zumindest teilweise „bewusst“ wahrnehmen. Doch spätestens beim Mensch werden diese unbewussten Reflexe der göttlichen Harmonie in seinem begrenzten Bewusstsein urplötzlich so dermaßen zum Dauerzustand, dass sie ihm bewusst werden … Und der zivilisierte Mensch ist geboren – er, der sich seiner Selbst bewusst ist, aber auch: er, der er den Tod fürchtet.

chakren-schoenheit

Dieses Wirken des Lebens, oder der „Lebenskraft“ („Prana“, „Psyche“, „Evolution“, usw.), das ab einem kritischen Punkt in seiner „Konzentration/Intensität“ zu „Selbstbewusstheit“ und mittelbar auch zur „Angst vorm Tod“ bei dem betroffenen Daseinsanteil führt, ist im Bild dargestellt durch die sieben Chakra-Motive, die als ein Aufstieg aus der Materie hinauf zum reinen Geist verstanden werden dürfen – und dieser Aufstieg von Materie/Körperlichkeit hoch zum Geist kann nur erfolgen über … das weeeite Land des sogenannten „Seelischen“. So stellt im Prinzip alles „innerhalb“ des Quadrates, welches sich aus den vier Sephiroth Chochmah, Binah, Netzach und Hod ergibt, dieses „Seelische“ dar. Mit den „niederen Seelenregungen“, die eher dem Materiellen zugeneigt sind, und den „höheren Seelentrieben“, die in Richtung des Geistes streben. Und die Mitte zwischen beiden Extremen ist eben beim mittleren der sieben Chakren, beim „Herz“ angesiedelt. Hier findet sich schematisch das eigentliche „Subjekt“, über das sich noch sinnvoll sprechen lässt (das aber eben keinesfalls ein tatsächlich „reines“ ist …); es ist das grundlegende Position-Beziehen, das der Mensch braucht, um sich überhaupt einen auch nur vorbewussten Begriff (~ „Kategorie“ des Verstandes) bilden zu können, um überhaupt bewusste Erinnerungen haben zu können (bzw. sie als solche zu erkennen), um überhaupt einen Bezug zum erlebten Moment haben zu können. Sprich: Es ist der „Ich-Gedanke“, eingeordnet in den unscharf-erahnten Gesamtzusammenhang einer „objektiven Realität“, bevor dieses hochabstrakte Konzept als solches dem Individuum bewusst geworden ist, während das Konzept also noch aus dem Hintergrund die Perspektive leitet. Das bewusste Ich – das Ego – aber ist das, was im seelischen Aufstieg zu erst bewusst wird: Die Sonne nämlich, „Manipura“, wo (persönlicher) „Glanz“ und individuelle „Schönheit“ (Verweis auf die Sephira Tipheret …) erst als abstrakte Konzepte in die Existenz treten.

Das „reine Subjekt“ aber, das ist erst „im siebten Chakra angesiedelt“, in der „Krone“, bereits „oberhalb des Scheitels“, also außerhalb des physischen Leibes gedacht: Dieses reine Subjekt ist das letzte Negative, der Rest der bleibt, wenn man alles Wirkliche abzieht – und damit die Quelle von allem Seelischen überhaupt, weil nur durch dieses hauchdünne Prisma der Schimmer der Transzendenz, des einen, ewigen Gesetzes – Gottes – in die Immanenz strahlt. Als „absolutes Bewusstsein“ Hegels, als Platos „Weltpsyche“, als das „Chit“ im sanskritischen Sat-Chit-Ananda, jener „Dreiförmigkeit des Brahman als Atman“, also vereinfacht (und ein wenig „christianisiert“) gesagt: als „Gott in der Seele“ (vgl. auch Meister Eckarts Beschreibung einer „Gottesgeburt in der Seele“), bzw. als Erkenntnis der Identität von „Gott“ und individueller „Seele“ in der absoluten Negation aller Illusion des Vergänglichen (Stichwort „Maya“, ~ ‚Schleier‘).

So bildet die Reihe der sieben Chakren im Gemälde eine dritte Säule neben Jachin und Boaz, wodurch diese beiden äußeren Säulen vor Salomos Tempel zu zwei der Drei inneren Säulen dieses legendären Gotteshauses transformiert werden: Zu „Weisheit“ (Jachin; die ja auch die Sephira Chochmah, „Weisheit“ enthält) und „Stärke“ (Boaz; ein Name, der ja selbst das hebräische Wort für Stärke beinhaltet). Und die neue „Säule der Chakren“ fügt sich als „Schönheit“ (begründbar z. B. an der Überlagerung des dritten Chakras mit der Sephira der Schönheit, Tipheret) zur dann vollständigen Triade hinzu.

dreisaeulen

Das hier skizzierte Weltbild in einen Satz gepresst lautet also ungefähr: Der „Geist“ erschafft die „Natur“, versenkt sich in ihr – und steigt durch sie hindurch wieder hinauf, um von vorne zu beginnen …

2.2. „Menschenbild“

Die Überleitung zum Verständnis des Gemäldes als Darstellung eines „Menschenbildes“ ist nun bereits im vorigen Kapitelabschnitt in Gang gekommen, indem die Mittelachse des Bildes mit den sieben Chakra-Motiven schon mal der Seelentätigkeit des Menschen zugeordnet wurde (neben dem Aspekt als „wirkende Lebenskraft in der materiellen Natur“ wohlgemerkt). Aus diesem Weltbild ergibt sich für den „in die Welt geworfenen“ (vgl. Heidegger …) individuellen Menschen, dass er sich in einer Umgebung, genauer: in einem Königreich (= ‚Malchut‘) wiederfindet, das auf der einen Seite mit (leiblichen/materiellen) Versuchungen lockt (Bild der gereichten, lockenden Frucht), auf der anderen bloß „Gehängt-Werden“ (~ „umsonst sterben“/“Leben verschwenden“) anzudrohen scheint. Dieser „Start“ des Lebens ist also auf dem Gemälde ganz unten in der Mitte zu finden, wo das Schild der 10. Sephira anzeigt, wo man sich befindet.

kundalini

Hier nämlich beginnt heimlich schon ein entstehendes „Ego“ (das sich wie der Stamm des Baumes „von der Wurzel bis hoch in die Krone zieht“, das also die gesamte Menschheitsentwicklung in der ein oder anderen Form begleiten wird), das sich schon einer gewissen Zeitlichkeit (zur Vorausplanung von „Erstrebenswertem“) bedient, seinen Einfluss auf die bewusstwerdenden ersten Entscheidungen eines Menschen auszuüben. Der erste Schritt scheint also vorgezeichnet … wer würde da schon nach links gehen, wo ihn das Schicksal eines aufgehängten Menschen erwartet?! Zu dumm, dass der Gehängte bei näherer Betrachtung gar kein Gehenkter ist, sondern ein Philosoph, der sich symbolisch selbst (als „soziales Wesen“, als „Person“ im vulgärsten Sinne, als Maske) für die Welt aufopfert, um ihre letzten Geheimnisse zu ergründen. Stattdessen wählt eine „junge Seele“ in der Regel „die verbotene Frucht“ – und stürzt sich damit selbst noch tiefer in den Sumpf der Materie, der bloßen Substanz (im modernen Alltag gar häufig in den Sumpf des Substanzmissbrauchs …). Aber welchen Weg er auch wählt, der Mensch, irgendwann landet er immer 1. bei sich Selbst, 2. bei der Welt im Ganzen (als etwas ihn „objektiv“ umgebendes) – und 3. auch bei „Gott“ (wenn auch gerade letzteres heutzutage meist lieber anders bezeichnet wird, von den Naturwissenschaften etwa als „Weltformel“, als „höchstes (bisher freilich noch nicht „gefundenes“) Naturgesetz“ oder ähnlich verwissenschaftlicht – und damit leider für die meisten Menschen viel zu verdunkelt). Und indem er dann über diese drei Aspekte des Seins nachsinnt, zeichnet er sich mindestens unterbewusst seinen ganz individuellen „Mysterienteppich“.

In jedem Fall stellt der Tod (sowohl als bewusstes Konzept, als auch als konkretes Geschehnis in der Natur und im einzelnen Menschenleben) einen wichtigen Moment jedes Nachsinnens überhaupt: Er nämlich ist ein natürlicher Ansporn, eine endgültige Schwelle, die einerseits droht, andererseits rätseln lässt – und die auch ein Tor sein könnte …

Im Gemälde ist der Tod vordergründig natürlich bei dem Totenschädel links unten zu finden – doch, wie oben schon angedeutet, steht dieser Tod recht speziell für die freimaurerische Hiramsmythe (die übrigens Bestandteil des Rituals zur Meistergrad-Initiation der maurerischen Johannislogen sein soll) und für die sich aus dieser Mythe ableitende Konzeptualisierung des („geistigen/seelischen“) Todes als Voraussetzung einer innerlichen („spirituellen“) Wiedergeburt: die letzte Überwindung (weil symbolische „Abtötung“) des „tyrannischen Ego“ – wie z. B. die muslimische Sufi-Tradition diese niedrigste Stufe der sieben potentiellen Ebenen des menschlichen Ich-Bewusstseins (nicht ohne Pathos …) nennt.

mem-horizont

Subtiler – aber viel relevanter für die vorliegende „Menschenbild“-Interpretation des Gemäldes – ist der Verweis auf den Tod durch die Waagrechte zwischen Netzach und Hod („Mem-Horizontale“), die nämlich dem hebräischen Buchstaben Mem zugeordnet ist, welcher wiederum fürs Tarot mit der Karte „Tod“ assoziiert ist. Und genau diese Horizontale begrenzt auf dem Bild dann auch alles sicht- und fühlbare „Natürliche“ – denn alles, was in der Natur ist, kommt und vergeht, „wird geboren und stirbt“. Ob dieses „Vergehen“ dann stets medizinisch als „Tod“ zu klassifizieren ist, spielt dabei keine Rolle – denn auch das Zerbersten eines Kieselsteines in tausend Fragmente beendet die individuelle Existenz desselben. Ganz ohne, dass eine biochemische Maschine namens „Herz“ dafür aufhören müsste zu schlagen … Es ist eben der Zahn der Zeit, der Tod selbst jeder unbelebten Natur alles Zusammengesetzten.

So ist diese „Horizontale des Todes“ die feste Leiste, an der der erste und schwerwiegendste der drei großen Schleier hängt, die das Konkreteste vom Abstraktesten trennen, das Zeitliche vom Zeitlosen: Der Große Vorhang in Purpurrot, verkündend: Die Manege sei eröffnet!!! Und ein Zirkus ist es, der sich da abspult, wieder und wieder aufs Neue – das Rad der Welt im Physischen, allein angetrieben vom Seelischen „darüber“ (und „darin“ und „darunter“); der Buddhisten und Hinduisten „Samsara“.

karma-radderwelt

So zeigt ein Lunsen hinter den Vorhang dem Neugierigen auf den ersten Blick entweder das gerechte Rad der Welt mit seinem unerbittlichen Karma (Blick nach rechts, Richtung „Säule der Liebe/Weisheit“, die für die Weltentwicklung „von Klein nach Groß“ steht) – oder aber den Teufel selbst (siehe die Hörner am „G“; links des „Sonnen-Chakras“), der sich vielleicht auch als Gott tarnen mag* (das „E“ und das „O“ sind viel kleiner geschrieben, sodass dass „G“ in der Mitte voreilig als Abkürzung für – oder zu – „Gott“ missverstanden werden könnte …) – in Wahrheit aber wieder mal „nur“ das eigene verletzte Ego ist, das nach Rache brüllt oder vor Neid zerfließt oder sich sonstigen Egomanien hingibt (Blick nach links, Richtung „Säule der Macht“, die für die Weltentwicklung „von Groß nach Klein“ steht).

teufel-ego-mond

Blickt der Neugierige dagegen starr geradeaus, lässt sich von weder Links noch Rechts ablenken – dann schaut er direkt auf die strahlende Sonne seines Egos – wertneutral, weder im Guten, noch im Schlechten. Aber so oder so: Mit diesem Ego, also mit dem bewussten Erfassen der eigenen, menschlichen Existenz als „Geist samt Körper“**, muss der Tod vielleicht als Ansporn, statt als Androhung begriffen werden. Schließlich hätte der Mensch wohl nie begonnen, bewusst seine begrenzte Zeit auf Erden zu „planen“, oder gar zu bedauern – wenn diese Zeit nicht als begrenzt erkannt wird, oder sie gar tatsächlich nicht begrenzt ist, man „unsterblich“ wäre. In letzterem Fall existierte vermutlich nur Gedankenwelt, ohne Unterscheidung eines „Grades“ der Realität – man wäre vielleicht einfach „Alles und Nichts“.

2.3. „Gottesbild“

Ein echtes (bewusst durchdachtes) „Gottesbild“ (bzw. einen Gottesbegriff) zu haben – und diesen auch offen zu bekennen – ist in der heutigen Zeit, besonders in der ach-so-hoch-zivilisierten „Westlichen Wertegemeinschaft“, gar nicht so leicht. Allzu leicht würde das öffentliche Bekenntnis zu einem Solchen dazu führen, dass die Mitmenschen den Bekennenden … nun, „nicht mehr so ganz ernst nehmen“ … glaubt dieser doch an ein „Fliegendes Spaghetti-Monster“, für das jede „aufgeklärte Wissenschaft“ nun wirklich schon lange keinen Platz mehr hat …

Um diesem völlig verfehlten Verständnis des Gottesbegriffs all der Richard Dawkins´es da draußen entgegenzutreten, bietet es sich an, an dieser Stelle zunächst das Verhältnis von moderner, „anerkannter“ (Natur-)Wissenschaft zum Gottesbegriff herauszustellen, wie letzterer im Rahmen der vorliegenden Gemäldeinterpretation zu verstehen ist.

Aus naturwissenschaftlicher Perspektive nämlich ließe sich zunächst sagen: „Gott“, im Sinne des gänzlich Transzendenten, auf dem alle Immanenz ausnahmslos beruht, ist schlicht und ergreifend das ewige Gesetz der Welt, das nicht bloß bestimmt, wie der Naturverlauf in der (als linear erlebten) Zeit vonstatten geht, sondern das darüber hinaus auch die Eigenschaften des Phänomens „Zeit“ selbst bestimmt und sonst alles, was sich jenseits von „Zeit“ … „abspielt“ – oder besser: das jenseits von „Zeit“ … ist (und damit einhergehend natürlich auch jenseits von „Raum“ – hängt doch beides physikalisch gesehen untrennbar aneinander; wie es spätestens seit Einsteins Relativitätstheorie auch jedem selbst ernannten „Atheisten“ als bewiesen gelten dürfte).

Aus dieser vorläufigen Definition von „Gott“ als dem „Letzten Gesetz“ ergibt sich dann eine ziemlich eindeutige „Sicht“ (= Bewertung) der natürlichen Welt, die von diesem Gesetz determiniert ist: Jede einzelne Erscheinung in der Natur (zu jedem Zeitpunkt, an jeder Stelle – ja: gar in jedem hypothetischen „Paralleluniversum“) entspricht genau einem Teilbereich dessen, was als „ausdifferenzierte Gesamtgesetzmäßigkeit der Welt“ bezeichnet werden kann; ein solcher (prinzipiell/“theoretisch“) konkret bestimmbarer „Teilbereich der ausdifferenzierten Gesamtgesetzlichkeit“ sei im weiteren der Kürze halber als „Platonische Idee“ bezeichnet***.

Jede konkrete Erscheinung in der Welt ist somit im Moment ihres Wahrgenommenwerdens durch ein Bewusstsein mindestens ein „Symbol“ für die jeweilige „Platonische Idee“, die die (raumzeitliche) Existenz der betrachteten Erscheinung bestimmt. Wir haben also eine Polarität mit den zwei Polen „Letztes Gesetz“ und „Gesamtheit alles konkret in der (raumzeitlichen) Welt Erscheinenden“. Und was sich zwischen diesen zwei Extremen befindet, was also diese Extreme zusammenhält, zu einer Einheit zusammenfasst – das ist nichts anderes als die besagte ausdifferenzierte Gesamtgesetzlichkeit.

An einem Beispiel verdeutlicht: Das „Letzte Gesetz“ laute „Die Menge 1 verdoppelt sich mit jedem Zwischenschritt, bis sie zur 8 geworden ist – dann halbiert sie sich wieder, bis sie erneut eine 1 ist“. Die ausdifferenzierte Gesetzlichkeit dieses Gesetzes wäre dann: 1 -> 2 -> 4 -> 8 -> 4 -> 2 -> 1 … (ad infinitum)

In einem komplexeren Beispiel wäre das „Letzte Gesetz“ vielleicht eine algebraische Funktion und würde sich ausdifferenziert erst als Folge von exakten Punktkoordinaten (eindimensional), dann als Kurve im zweidimensionalen „Koordinatensystem“, und so weiter … zeigen.

Das tatsächliche „Letzte Gesetz“ der („unserer“) Welt freilich führt offensichtlich zu einer sehr viel komplexeren ausdifferenzierten Gesamtgesetzlichkeit – nämlich zur abstrakten (d. h. zumindest theoretisch „mathematisierbaren“) Beschreibung alles irgendwo und irgendwann Existierenden, sowie alles zumindest prinzipiell Vorstellbaren.

Schenkt man beispielsweise den Thesen der sogenannten „Heiligen Geometrie“ Glauben, ergibt sich die Mannigfaltigkeit der Welt ganz einfach daraus, dass auf einem hypothetischen (bzw. „von einem absoluten Universumsbewusstsein von außerhalb der Zeit heraus vorgestellten“) „leeren Blatt Papier“ immer wieder Kreise gezogen werden, die sich streng systematisch gegenseitig überlappen (indem stets nur erlaubt ist, einen neuen Kreis so zu ziehen, dass sein Mittelpunkt irgendwo auf dem Umfang eines anderen Kreises liegt, und zwar dabei vorzugsweise auf einem Schnittpunkt möglichst vieler Kreise – so ist nur der allererste Kreis wirklich „willkürlich“, der zweite zumindest schon teil-determiniert gesetzt, und alle Folgenden ergeben sich ganz zwangsläufig aus diesen beiden ersten Kreisen und den genannten geltenden Gesetzen für eine „Expansion“); und mit der unvorstellbaren Masse der sich überlappenden Kreise beginnen sich aus diesen Mustern bald Fraktale zu bilden, wenn durch ein individuelles Bewusstsein willkürlich imaginäre Verbindungslinien zwischen bestimmten Kreismittelpunkten/Schnittpunkten gedacht werden, die für die grobe (und vor allem höchst selektive) menschliche Anschauung eine in vier geometrische (Raumzeit-)Dimensionen aufgespaltene Wirklichkeitswahrnehmung ermöglichen, welche zudem unser Erleben von „Erinnerung“ und „Denken“ irgendwie zu repräsentieren schafft (für nähere Ausführungen hierzu sei wieder auf das Kräuterbüchlein verwiesen; speziell Buch 2, Kapitel 6). Gesetzt auch, jede einzelne denkbare Möglichkeit würde von irgendeinem von unendlich vielen „leeren“ Individualsubjekten begonnen werden (die zu Beginn quasi „im Nicht-Raum und in Zeitlosigkeit existieren“ und alle nur besagtes Kreismosaik mit den universalen Regeln für willkürliche „imaginierte“ Verbindungsgeraden zwischen den Kreismittelpunkten/Schnittpunkten „vor Augen“ haben) – dann würde es vermutlich rein statistisch gesehen zwangsläufig eine Aufteilung der „unendlich-vielen“/beliebig-vielen Subjekte in Gruppen geben, die jeweils aus bestimmten „Wesenheiten“/Entitäten/“Individualitäten“ bestehen, die sich durch glückliche Zufälle gegenseitig**** wahrnehmen können (weil sie durch Zufall ihre jeweilige Wirklichkeit hinreichend synchron zueinander konstruieren). Diese „Gruppen“ entsprächen letztlich dann – für unsere „gewohnte“ Wahrnehmung – dem „Inhalt“ von unterschiedlichen Paralleldimensionen des Universums, die jeweils in unterschiedlichem Ausmaß von unterschiedlichen Arten von (physikalisch zu verstehender) Energie durchquert werden.

Wir würden demnach – vereinfacht gesagt – alle nur auf eine Art zweidimensionales Mosaik (oder – noch abstrakter – sogar nur auf eine null-dimensionale Folge von binären Signalen?!) blicken, das sich im Laufe der linearen Zeit verändert – und nur durch unsere (unbewusst) selbst gewählte Hervorhebung bestimmter Kreisflächenbereiche und/oder Kreisschnittpunktverbindungsgeraden der unendlich vielen theoretisch Vorhandenen, stellt sich uns ein recht plastisches Bild einer mehrdimensionalen Wirklichkeit dar (die Kreise selbst sind gegenüber den Verbindungslinien und -flächen so etwas wie die hintergründige „Leere“, der Rahmen, in dem sich alles abspielt – also wohl „Akasha“, in der Sanskritterminologie der alten Inder …). Mehrdimensionalität würde sich in dieser Überlegung aus dem selben Prinzip der menschlichen Wirklichkeitskonstruktion ergeben, aus dem sich auch der Anschein von 3-Dimensionalität auf einem flachen Blatt Papier ergibt, wenn man nach geschickt-gewählter Systematik alle Punkte des impliziten Koordinatensystems doppelt belegt.

Mit einer derartigen Sichtweise (es muss nicht zwangsläufig genau diese der sogenannten/selbsternannten „Heiligen Geometrie“ sein) auf die Welt kommt man zwangsläufig zu dem Schluss, dass die messbare, „reale“ Natur und alle ihre Erscheinungen nichts anderes sind, als die allerkonkretesten „Platonischen Ideen“, die sich in rasender Geschwindigkeit abwechselnd zeigen – Sie sind also „nur“ das „Konkreteste unter dem Abstrakten“. Das „Abstrakte“ meint hier also wirklich umfassend die gesamte ausdifferenzierte Gesetzlichkeit, von der das eigentliche „Letzte Gesetz“ (also dasjenige, das den gesamten Rest der ausdifferenzierten Gesetzlichkeit bereits implizit in sich allein beinhaltet) einfach das „Allerabstrakteste“ ist: „Es ist, wie es ist“, sozusagen …

So ist die konkrete, wahrgenommene Erscheinung, die sich dem subjektiven Bewusstsein zeigt, selbst ein Symbol für die entsprechende „Platonische Idee“, die den Verlauf der betrachteten Erscheinung determiniert. Und dasjenige, was angenommenermaßen als unerkennbares „Ding an sich“ diese menschliche Wahrnehmung der konkreten Erscheinung im Bewusstsein überhaupt erst hervorruft (denn der „Solipsismus“ scheidet aus, siehe etwa die Argumente Kants in seiner Kritik der reinen Vernunft: Abschnitt „Widerlegung des Idealism“) – das ist die zugehörige „Platonische Idee“ selbst (nicht bloß „Symbol“ für diese!).

„Weltbild“ und „Gottesbild“ sind deshalb im Rahmen dieser Abhandlung letztlich ein und dasselbe, lediglich von entgegengesetzten Standpunkten aus betrachtet (und zwar sind die beiden „Standpunkte“ jeweils angesiedelt am äußersten Extrem dieser Polarität von abstraktem Gesetz und konkreter Welt) – das „Weltbild“ betrachtet die Welt/die Natur als „Leib Gottes“; das „Gottesbild“ betrachtet das Gesetz, auf dem die Natur beruht, als „Geist Gottes“. Die „ausdifferenzierte Gesamtgesetzlichkeit“ ist demnach die „Seele Gottes“, bzw. die „Weltseele“ Platons, das unsichtbare Wirken des ewigen Gesetzes in der konkreten, dem Lauf der Zeit unterworfenen Natur.

Letztendlich heißt all dies in der Konsequenz, wenn auf das vorliegende Gemälde als Versinnbildlichung eines „Gottesbildes“ (= „Bild Gottes“??!) bezogen – und das wird leicht übersehen, wenn man die Dinge nicht bis zum Ende denkt: Das „Gottesbild“ – zumindest, wenn tatsächlich versucht wird, es derartig intersubjektiv darzustellen – ist automatisch kein tatsächliches Gottes-„Bild“ (also keine Gottes“-offenbarung“; das nämlich ist allein die durch einen Menschen wahrgenommene unmittelbare Wirklichkeit) mehr – sondern vielmehr ein „Götze“, genauer: ein Abbild „Luzifers“, also des (am „Ende der Zeit“) „mystisch-erleuchteten“ gesamten („beseelten“) Kosmos, bevor dieser sich dann aus Einsicht/Selbsterkenntnis selbst aufopfert. „Luzifer“ in diesem Sinne entspricht damit punktuell dem Einen Allmächtigen, dem einzigen „Gott“ – allerdings lediglich in dessen Emanation als „Großer Baumeister aller Welten“, als „Demiurg“; nicht im umfassenden Sinne.

So ist Luzifer als „Gefallener Engel“ und „Fürst der Unterwelt“ schlicht eine Metapher für das in Gestalt eines beliebigen Wesens in den Verlauf der Natur „hineingeborene“ („aus dem Ideenhimmel hinabgestiegene/-gefallene“) Wissen von den Grundprinzipien der Welt, aus denen sich letztlich alle konkreten Gesetzmäßigkeiten ergeben; die „Unterwelt“, deren Fürst „Luzifer“ ist, ist also schlicht „unsere Welt“, sowohl das „Materielle“, als auch das „Seelische“, „Immaterielle“; Samsara, in klarer Abgrenzung zum seligen Nirvana – in der Terminologie der alten Inder.

Und wer „herrscht“ in der Welt? Der, der das entscheidende Wissen hat und es anzuwenden weiß – „Luzifer“ in Gestalt eines konkreten Menschen, der sich das entsprechende Wissen hat angeeignet im Verlauf seiner individuellen Existenz.

Aber der wahre Luzifer, also nicht mehr im Sinne einer Metapher für den „in der diesseitigen Welt herrschenden Menschen“, sondern im wortwörtlichen und personifizierten Sinne, ist gerade erst dabei „geboren zu werden“: Er ist Gott selbst (als „von Klein nach Groß aufsteigendes Bewusstsein“), der sich in seiner eigenen Schöpfung (~ „in seinem von Groß nach Klein aufgebauten Leib aus Materie und Energie“) versenkt, bis er sich eines Tages innerhalb (!) der Schöpfung als sein eigener Schöpfer (wieder-)erkennt – um sich dann logischerweise wieder aufzuopfern, den Kreislauf ein weiteres Mal zu wiederholen …

*: Die meisten naiven Gottesbilder gehören wohl in diese Kategorie, sind also eigentlich „Teufelsbilder“; wenn Gottesvorstellungen nämlich in Wahrheit nur Alibi sind für Denkfaulheit und Angst vor Eigenverantwortung seitens des „Gläubigen“, dann sind diese Gottesvorstellungen in ihrem Kern nur Idealisierungen eines menschlichen Egos, das zum persönlichen Gott erhoben wurde (und das auch noch, ohne diese „Blasphemie“ dabei zu bemerken …).

**: (Stichwort: Leib-Seele-Dualismus, der mit der Erkenntnis eines – wenn auch unscharfen – eigenen „Ichs“, bzw. eines eigenen, von „der Welt“ wenigstens teilweise abgegrenzten „Seins“ erst erzeugt wird fürs menschliche Welterleben)

***: Hier der Hinweis, dass Plato selbst dies freilich nie so klar ausgedrückt hat – seine „Ideen“, die er in den Dialogen als Beispiele anführt, sind in der Regel recht „hohe“, also besonders abstrakte Teilbereiche der „ausdifferenzierten Gesetzlichkeit“, die keineswegs nur einen einzigen, konkreten Vorgang in der raumzeitlichen Realität determinieren, sondern die gerade das Regelhafte in der Natur beschreiben, also allgemeine Prinzipien, nach denen sich der Naturverlauf in der Raumzeit im größeren Maßstab entwickelt – und dennoch ergibt sich auch nach Platons überlieferter Lehre (abstrakt gesehen) jede konkrete Erscheinung in der Zeitlichkeit allein aus all jenen ewigen/zeitlosen „Platonischen Ideen“, welche in einer bestimmten Weise aneinander „teilhaben“.

****: (oder die Wahrnehmung ist „unilateral“, wie im Fall von Menschen, die z. B. einen Stein oder sonst ein „Nicht-Wahrnehmendes“ anschauen)

3. Einige „Pfade“

Der klassische „Erleuchtungsweg“, veranschaulicht an dem hier betrachteten Gemälde, wäre wohl in der Regel zunächst ein „Aufstieg“ von Unten nach Oben – gegebenenfalls danach dann der erneute Abstieg zurück „in den Alltag“.

Hier ist ein Verweis angebracht auf das wohl größte und verheerendste „Schisma“ der universalen Mystik der bekannten Menschheitsgeschichte, das sich durch die unterschiedliche Bewertung des jeweiligen „Maya“-(Illusions-)Konzeptes erklärt – ob man also „zurückkehren“ sollte, oder lieber nicht. Ein Schisma, das im Falle Schopenhauers etwa zur „Willensverneinung“ führt, um „Maya“ zu entkommen; das im Buddhismus tendenziell mit dem „Mittelweg“ jede Bewertung als solche zwar ablehnt, aber dennoch im „rechten Sinn“ am Leben – also am Endlosspiel von „Maya“ – teilzunehmen empfiehlt.

Und wie viele seltsame Sekten (und „Privat-Ideologen“ …) haben aus dieser Frage die haarsträubendsten Konsequenzen gezogen (Stichwort: „Illuminierten-Elitarismus“) … Ja, es ist beileibe ein Schisma, das leider offenbar zwangsläufig bei unzähligen „Verblendeten“ zu regelrechtem Faschismus ermutigt – und indem man diese „Verblendeten“ als solche bezeichnet, gehört man freilich selbst irgendwie zu ihnen …).

Neben sogenannten „Erleuchtungspfaden“ können in dem Bild natürlich auch andere „Wege“ (= „Relationen“) illustriert werden: die beiden Säulen zum Beispiel – und zwar im Rahmen der schon angesprochenen „Kosmogonie“, nicht nur der „metaphysischen“, vorzeitlichen, sondern auch der innerzeitlichen, die sich also mit der Entstehung und Entwicklung des physikalischen Universums deckt.

Der Abstieg auf der Säule steht jeweils für das „Außerzeitliche“, das sich aus dem „Letzten Gesetz“ als die „ausdifferenzierte Gesamtgesetzlichkeit“ ergibt. „Boaz“ steht dabei für derartige Grundprinzipien, die sich auf „die Natur“ beziehen; „Jachin“ steht für solche Prinzipien, die sich auf „den Geist“ beziehen.

Auf Seiten der Säule Boaz (der „Macht Gottes“-Seite, welche auf die Tendenz „von Groß nach Klein“ deutet) prangt zunächst das große Fragezeichen, das sich zu den vielen („sofort eindeutigen“) Einzelantworten aufgliedert*.

gimel

Am Fuße des großen Fragezeichens gruppieren sich die Symbole der „Vier Elemente“, die in ihrem Zusammenspiel das „Immaterielle“ zu „einem Quadrat“ (zu einer raumzeitlich-stabilen Form also) verfestigen können – hier zeigt sich deshalb symbolisch die theoretische Grundstruktur des physikalischen Universums auf einige wenige Grundgesetze gebracht (wissenschaftlich gesprochen: Möglicherweise so etwas wie die geometrische Struktur der Elementarteilchen ohne innere Struktur im Rahmen der multidimensionalen String-Theorien).

Die (ihr einfaches geometrisches „Gerippe“ nicht verhehlenden …) Sterne im unteren Teil der linken Säule verweisen dann zum Beispiel (zunächst in einem eher weiten Sinne gedeutet) auf die abstrakten Begriffe, die das menschliche Bewusstsein wenigstens prinzipiell erschließen kann (wenn es dann eines Tages, „in der Zeit“, aus dem Wirken der Materie erstanden ist …). Die Sterne am Nachthimmel in ihren festen, hoch-regelhaften Gefügen mögen der Menschheit einst Anlass gewesen sein, über ein „ewiges“ (immer gleiches, immer geltendes) Gesetz der Welt zu spekulieren – sind doch die Sterne aus der Perspektive des kleinen Menschen auf der Erde selbst so etwas wie ein ganz anschaulicher Ausschnitt der ausdifferenzierten Gesamtgesetzlichkeit des Universums.

pee-sterne

In einer konkreteren Deutung im hier besprochenen Kontext könnte nun genauer von jenen abstrakten Begriffen gesprochen werden, die sich tatsächlich als tiefe Gesetzmäßigkeiten der Physik offenbaren; etwa der Energieerhaltungssatz, das Entropiegesetz oder auch die grundlegende Beschaffenheit der sich krümmenden Raumzeit, die also die gesamte Kraft der Gravitation erst hervorruft, welche einen so starken Einfluss insbesondere auf die äußere Form von Leben in unserem Universum hat – all das sind grundlegende Prinzipien, nach denen alles im uns bekannten Universum läuft. Die komplizierten „Gesetze“, die erst in exakten mathematischen Formeln hinreichend intersubjektiv werden, sind gegen diese Grundprinzipien lächerliche Annäherungen, die eigentlich eher „Konventionen“ sind, die sich höchst zufällig gerade an unserer bescheidenen Stelle im Universum gebildet haben und quasi „aus Tradition“ zu recht stabilen „Gesetzen“ mutiert sind – außerhalb unserer irdischen Atmosphäre aber, oder außerhalb wohl definierter Bereiche des beobachtbaren Universums, sind derartige Annäherungsgesetze stets schnell an ihren Grenzen angelangt.

Parallel zu diesem Abstieg linkerseits vollzieht sich auch Rechts der Abstieg. So steht der obere Bereich der Säule Jachin (die „vom Kleien hin zum Großen strebt“), das große Ausrufezeichen, für jenes unbeweis- und unwiderlegbare Gefühl der Gewissheit – das man entweder hat, oder nicht – nämlich „dass irgendetwas, was es auch genau sei – mindestens im Grundsätzlichen – einfach nur gut ist und nichts anderes“. Oder so ähnlich. Es ist wohl das, was von vielen großen Denkern, von vielen aufrichtig „gläubigen“ Menschen, aber auch von skrupellosen Profiteuren des dogmatischen Aberglaubens stets als „natürliches Gottesbewusstsein“ eines jeden menschlichen Wesens propagiert wird – und für das die armen Verfechter von so manchem Wissenschaftsdogmatiker ganz schnell in aller Gehässigkeit „widerlegt“ werden – in Wahrheit freilich „nur“ verlacht (und vermutlich auch ein bisschen beneidet …). Und dieses „Gottesbewusstsein“ drückt sich vielleicht in der so universellen Mystik der Menschen besonders auf die Art aus, als es sich zu (bis zu) drei großen Fragen(-schattierungen) manifestiert: Gott, Welt, Mensch. Oder einfach: Was ist „das Eine“?

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Beim „vorzeitlichen“ Abstieg des Göttlichen in Richtung „Materialität“ meint nun dieses große Ausrufezeichen, welches sich größtenteils aus drei Fragezeichen ergibt, dass sich das zu Beginn (raumzeitlich zwar hypothetisch differenzierte/differenzierbare, aber noch nicht effektiv begrenzte) „auf die Schöpfung blickende Gottesbewusstsein“ im Konzept der Drei „seinen“ Bezug als Ursprung (1.) zur noch „rohen“ Schöpfung, als seinem Leib (2.), der durch seinen wirkenden Willen (3. ~ durch die „10 Schöpfungskräfte“) wächst und gedeiht, auf dass „er“ (= das physische Universum) irgendwann zielstrebig (d. h.: „intelligent“, beispielsweise im Kern durch großflächiges, intergalaktisches und hochzivilisiertes Leben im Universum) danach strebt, sich „zu seinem Ursprung“ zurück empor zu schwingen: Von Klein nach Groß, Assoziation im Höheren, immer und immer wieder – das sind in der „realen“ Zeit dann all die Entitäten, „Individuen“, die sich etwa als Zellen „wie von Geisterhand“ (bzw. „evolutionär“) zu Organen und gar zu komplexen Organismen zusammenfinden; dann die Organismen in Populationen, die beim „Menschentier“ sogar „Kultur“ hervorbringen, also ideale Strukturen als wichtige Faktoren im Verhalten der Massen (in Form von Institutionen im weitesten Sinn, das sind unterbewusst bei allen Teilnehmenden etablierte Vereinbarungen, die das Zusammenleben der Menschen und Menschengruppen durch eine teilweise Synchronisierung von ursprünglich individuellem Verhalten organisieren). Hier erhebt sich „der subjektive Geist“, der aus der scheinbar „toten“ (eigentlich: durch die schon-immer-lebendige) „Natur“ heraufgestiegen ist, gen „Ideenhimmel“, um dort immer mehr von demjenigen zu entdecken, mit dem sich die Welt an die eigenen Bedürfnisse anpassen lässt – dafür nämlich sind Kenntnisse der fundamentalen Gesetze dieser Welt erforderlich, um niedere durch höhere Gesetze „auszutricksen“ – nichts anderes ist „Wissenschaft“ und „Technik“. Oder esoterisch gesprochen: „Magie“ …

kaph

Im unteren Teil der rechten Säule – also jenseits der Mittelachse, die stets auch für eine Grenze zwischen Zeitlichkeit und Ewigkeit steht – zeigt dann auch das Zusammentreffen zweier entgegengesetzter Kräfte, die durch ein abstraktes, geometrisches Wellenmuster dargestellt werden, dass „der Geist“ im Abstieg in seine Schöpfung nach der gerade erfolgten Grundorientierung alles individuell Seienden am 3-Konzept* nun zielstrebig auf „Erkenntnis“ hinarbeitet: In jedem Subjekt wird von Anfang an die Grundtendenz verankert, „sich zu fragen“: Wie verbinde ich „das Obere mit dem Unteren“? Das meint abstrakt gesprochen dann nur noch soviel, als: Das „Obere“ erscheint als „Erstrebenswert“ – wie „gelange“ ich – als Individuum – nun dorthin? Und diese Suche wird zur menschlichen, „intuitiven“ und jeden Überhasteten oft mal zur Verzweiflung treibenden „Suche nach dem Lebensglück“ – denn alles auch noch so „barbarische“ (~ egomanische, gar sadistische) Glücklichsein kann uns als Person zumindest minimal „Gott näher bringen“. Wenn dies auch manchmal zu erheblichen Preisen geschieht, die andere Wesen zu zahlen haben. Aber so ist die „Gerechtigkeit“ der Welt eben: Nicht dem Einzelnen – schon gar nicht „als Person“ – widerfährt sie, in seinem begrenzten Dasein. Nur der Welt als Ganze kommt sie in Vollendung zu. Andernfalls hätte „Gott“ nie Gerechtigkeit als seine eigene Schöpfung an sich selbst erfahren können – denn „Gerechtigkeit“ könnte sich dann gar nicht von ihrem Gegenteil abgrenzen, wäre also schon rein logisch undefinierbar.

Ein besonders vielversprechender „Pfad durchs Gemälde“ könnte übrigens eine Spiralbewegung von Außen nach Innen sein, beginnend bei dem weiß-gelben Lichtreflex links unten am Fuß der schwarzen Säule Boaz – denn genau hier startet insbesondere derjenige Mensch, der nicht bewusst den „einen Pfad“ betritt, sondern durch den relativ zufälligen Verlauf seines Schicksals auf ihn stößt. Am Ende der Spirale wartet das Herz im Zentrum, das so unscheinbar und verschleiert wirkt – das aber eben für uns Menschen die wahre Mitte verkörpert. Wer stattdessen z. B. das „Ayn“ ganz oben auf dem Gemälde zu seinem persönlichen Primat erklärt, verfehlt diese innere Mitte und zielt auf ein Extrem, das dann womöglich in einem gefährlichen Nihilismus enden kann.

Nein – Das Zentrum von uns selbst bleibt das, was am Höchsten steht …

*: (im „Heilige Geometrie“-Bild vom letzten Kapitel: Wahl des Kreisradius und Mittelpunktstelle des zweiten Kreises, also die Grundentscheidung des „Ewigen Lichts“ nach der Selbstkontraktion des „Tzimtzum“, sich selbst zu erforschen, indem es den „göttlichen Logos“ spricht, aus dem sich alles weitere zunächst zwangsläufig ergibt, nämlich das „reine Potential“ der Welt, das noch nicht von Bewusstsein „bewohnt“ (= selektiv bewertet) wird)

**: „3-Konzept“ = jedes Subjekt erlebt sich potentiell – einfach zwangsläufig aus der Geometrie einer jeden denkbaren dual(istisch)en Relation heraus – als Eines („Ich“) gegenüber eines Zweiten („Das“), das „irgendwie“ durch das Dritte (= [Handeln in der Welt, das das „Subjekt“ mit dem „Objekt“ in aktive Verbindung setzt]) mit ihm selbst verbunden ist.

4. Zum Titel des Gemäldes …

Man übersehe nicht das umgedrehte Patriarchenkreuz auf der Krone oben! Dieses scheinbar winzige Detail ist ein wichtiger Hinweis auf den Wert des gesamten Gemäldes, als Concretum verstanden: „Götzendienst“ nämlich wäre jede Wertschätzung dieses Werkes, nichts anderes! Als Karte mag es dienen, aber nie als Vehikel – schon gar nicht als Idol.

patriarchenkreuzdetail

Im Folgenden die Begründung dieses vielleicht recht hart anmutenden Urteils … aber gerade der Kontext eines Gesagten ist ja das, was erst vor Missverständnissen bewahrt.

Also, der Titel des Gemäldes: „Der Hüter der Schwelle“ – welcher „Schwelle“?

Inzwischen dürfte klar geworden sein: Die Schwelle zur (letzten) „Transzendenz“, zur endgültigen Überwindung der Paradoxien der reinen Vernunft, ist hier selbstverständlich gemeint. Man kann diesen psychischen Prozess – wie über die letzten gut 10.000 Wörter geschehen – ausführlich in blumigen und kantigen Sprachbildern umreißen. Am Ende aber sollte dann doch noch einmal klar herausgestellt werden: Das Zauberwort, um nicht den Bezug zur (im derzeit herrschenden Zeitalter) „anerkannten Öffentlichkeit“ gänzlich einzubüßen, lautet „Individuationsprozess“. Ein Begriff, der den Phänomenbereich der Mystik zumindest potentiell wissenschaftlich untersuchbar macht. Die (erste) „Erleuchtung“ ist damit nichts anderes, als das subjektive Zufriedensein mit den Fortschritten seines eigenen Individuationsprozesses – weil man einen kritischen Punkt überschritten hat, nach dem man sich nicht einmal mehr vorstellen kann, jemals wieder prioritär auf der „Suche nach dem persönlichen Glück“ zu sein.

Etwas weiter ließe sich die Perspektive auf die sogenannte Mystik aber noch spannen, wenn man statt eines nur individualpsychologischen, einen sozio(-psycho-)logischen, und damit umfassenderen Ansatz verwendet, um sich der Thematik zu nähern. Dann könnte man den Begriff der „Transzendenz“ ganz wortwörtlich auf das individuelle Identifizieren eines Menschen mit einem bestimmten „Bereich der Welt“ beziehen, der mindestens auch – wenn nicht nur – einen Bereich außerhalb des eigenen Körpers oder gar außerhalb der Zeit mit einschließt. Ersteres wären etwa Identifikation mit der „Heimat“, der Familie – oder auch nur mit den Klamotten, die man gerade trägt … Letzteres, das Identifizieren seinerselbst mit einem Bereich außerhalb der Raumzeit, meint das Ergreifen eines Ideals, also das Wählen eines gedanklichen Konzeptes (bzw. einer ausgefeilten „Ideologie“ womöglich), um sein zukünftiges Handeln daran zu orientieren. All dieses Identifizieren ist freilich weit davon entfernt, etwas „Mystisches“ zu sein, wenn davon die Rede im Alltag der meisten Menschen ist – denn man identifiziert sich eben meist nicht wirklich gänzlich mit … seiner politischen Parteizugehörigkeit, seinen Familienangehörigen, seinen Kleidern am Körper, und und und … ja, nicht mal mit dem eigenen Körper identifiziert man sich ununterbrochen die ganze Zeit (z. B., wenn man gerade bewusst nachdenkt – dann „schwelgt man in Gedanken“ und ist dann auch eher diese Gedanken, als der Körper, in dessen Gehirn sie sich abspielen …). Die Mystik nun bemüht sich um ein tatsächliches Sich-Identifizieren – und zwar meist mit möglichst „hohen“ Idealen, im Regelfall wohl letztlich mit „Gott selbst“ (wie dies dann auch genau formuliert wird individuell) – und so führt die Mystik den ambitionierten Mystiker zwischenzeitlich eben zwangsläufig weit weg vom üblichen Alltag; sowohl geistig-gedanklich, als körperlich-gesellschaftlich.

Auf gesellschaftlicher Ebene sind jedoch auch diesseits der bewussten mystischen Praxis der Individuen eines Kollektivs Prozesse zu beobachten, in denen die Identifizierung mit einem Ideal wortwörtlich in der Tat (also nicht bloß theoretisch sondern praktisch, im bewussten Wirken in der Umwelt) vollständig vollzogen wird. Z. B. in Form einer Ideologie, die beginnt, gesamtgesellschaftliche Dynamiken zu lenken, indem sie das Verhalten ihrer Anhänger wie von unsichtbarer Hand leitet – und die Anhänger aus dem Verfolgen dieses ihres Ideales vor allem auch Glückseligkeit beziehen – zumindest eine temporäre, solange, wie eben der Einzelne nicht wieder beginnt, über „sich“, als „Person“ nachzudenken (wieder das Stichwort „Sekten-Methoden“… das „Glück“, das nur in der Gruppe liege …).

Der „Hüter“, das ist also der „Luzifer“, der Lichtbringer; das Licht selbst aber gilt es zu sein, wenn man die sogenannte „Erlösung“ sucht (und zwar Erlösung vom quälenden Ego, das mindestens teilweise gegen einen zu arbeiten scheint – denn wenn man nicht das Gefühl hat, dass das eigene Ego gegen einen selbst arbeitet, dann geht man auch nicht den Schritt in Richtung „Mystik“. Dann wird man die bestgemeinten Ratschläge nicht einmal verstehen können, weil man sich selbst im Licht steht, dessen Schein aber erforderlich wäre, um zu sehen, dass einem etwas fehlt. Der sprichwörtliche Teufelskreis – aus ihm gilt es auszubrechen. Am weitesten kommen in diesem „Zustand“ – also ohne, dass sie ihr Ego als Feind erkannt haben – wohl noch manche überhasteten Okkultisten …)

Man bedenke stets: Alle Verbildlichung der letzten Aspekte kann immer nur Lüge sein – also ist ein Verehren der einzelnen Erkenntnisse an sich (die in jeder schlichtesten verbalen oder bildlichen Darstellung schließlich schon verschleiert werden) nichts als „Götzendienst“; dasjenige, auf was diese Erkenntnisse in letzter Konsequenz verweisen, ist das eigentliche und vor allem einzige „Verehrenswerte“. So mögen alle Worte und Symbole als Rohmaterial dienen, aus welchem der Suchende sich seine Brücke selbst zu bauen hat – doch erst das Beschreiten dieser Brücke, das selbständige Konstruieren der subjektiven Wirklichkeit vor dem Hintergrund der eigenen erlangten Einsichten also, erst diese finale Verwirklichung eines jeden Theoretischen führt zu dem, was wohl gemeinhin die „Erlösung“ in einem vollendeten Sinne genannt wird: Eben jene „Erleuchtung“ im umfassendsten Sinn, gern auch ausgedrückt durch das Sanskritwort „Moksha“, wie es in Hinduismus und Buddhismus gebraucht wird, schlicht die vollständige „Einswerdung“ mit der Welt, mit „Gott“ – die „Unio Mystica“. Das Erlangen des „Nirvana“, während man noch als Menschenkörper auf der Erde wandelt, den „Schleier der Maya“ mit dem Geist durchdringend, bereit, ihn jederzeit zu zerreißen oder an ihm weiterzustricken – und „Samsara“ selbst, das Rad der Welten, wird als Nirvana erkannt; daraus folgt ein „Bodhisattva“-Dasein, das „Bleiben“ zum Wohle aller Wesen; das „Christusbewusstsein“, indem man selbst als Gott, der Schöpfer und „Vater“, in der Welt agiert, man Eins ist mit dem Moment und dem expliziten „Willen Gottes“, der einem intuitiv die Hand, das Herz und den Verstand führt. So sagt man.

Aber auch weniger „orthodoxe“ Begrifflichkeiten beschreiben diesen Prozess: Die „Apotheose“, die „Gottwerdung“ des individuellen Menschen; die „Selbsterkenntnis“ halt, die Vollendung des psychischen Individuationsprozesses, indem man sich vollständig als persönliche, menschliche Existenz in den umgreifenden Weltzusammenhang einzuordnen schafft. Ja, auch das Endziel eines selbsternannten, aber aufrichtigen (speziell „hermetischen“) „Magiers“ gehört wohl hierher – denn erst, wenn das „kosmische Gesetz“ des „Wie oben, so unten“ und vor allem die „All-Einheit“ sämtliche Handlungspraxis durchwirkt, ist der Magier ein Magier in jedem Moment seines Lebens (vorher ist er stets nur dann Magier, während er tatsächlich auch als solcher eine „magische Handlung“ – und sei es nur eine im Geiste – durchführt).

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Am Ende führt wohl jeder Pfad zum selben Ziel – und als Mensch ist die vielleicht wichtigste Einsicht, dass das Individuum ein Ideal immer nur annähern kann, wobei Glückseligkeit, wie auch allgemeine „Sinnhaftigkeit“, sich nicht aus dem Erreichen, sondern allein aus dem Setzen und Verfolgen eines Zieles ergibt. Und gerade aus dem Streben nach Etwas, ist die ganze Welt. Nicht aus einem Erreichen von Etwas. Denn „erreicht“ war es immer – und für immer ist in jedem Moment Alles mit seiner Quelle verbunden und kehrt in ebenso jedem Moment zurück in sie ein.

herz-anahata

Baruch ha Schem!

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