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Fugue

10. Juni 2012

1. Immer weiter

Fuß vor Fuß, Staub wirbelt auf.
Kein Rennen, nein – entschlossenes Schreiten.
Ziel scheint vor Augen, so nah – gleich da?
Von wegen … denn das Ziel heißt nur “weg”.

Weg von wo? Von was? Von wem, eventuell?
Egal. Weder klar, noch relevant.
Nur fort.

Immer weiter und weiter, bis ans Ende der Welt.
Den Schmerz, die Trauer – die Langeweile
wegtreten, fortwandern – ihr entrennen.
Entrinnen? Wohl kaum. Nur versuchen.
Ablenkung – von was auch immer.
Klarheit wär´ viel zu brutal.

Lieber laufen, laufen, laufen, laufen.
Laufen. Um des Laufens Willen.

Wohin? Fort.
Einfach weit in die Ferne.
2. Bauernhof

Kühe grasen friedlich auf den Weiden.
Schweine matschen fröhlich rum im Schlamm.
Hühner picken eifrig ihre Körner.
Der Fuchs lauert geduldig im Gras.

Der Bauer sitzt schlafend im Schaukelstuhl,
im Mund eine Ähre seines Korns.
Die Bäuerin wäscht summend das Geschirr ab.
Das Kind spielt gelangweilt auf dem Hof.

Die Schafe mähen eifrig den Rasen.
Die Gänse schnattern lauthals im Gatter.
Die Katze jagt dem eigenen Schwanz hinterher.
Der Hund faulenzt müde in der Sonne.

Der Jägerzaun begrenzt das Grundstück treu.
Der Briefkasten erfreut sich seiner Leere.
Der Klopfer an der Tür bedeckt mit Staub.
Die Fenster blicken trist hinaus aufs Feld.

Der Dichter resigniert, weil nichts hier ihn berührt.
Der Postbote verflucht den weiten Weg.
Den Gast nervt stets die ewig gleiche Kost –

Nur Mäuse quieken froh vor Lebenslust.

Der Landstreicher sitzt seufzend im Heu der großen Scheune,
bewundert dieser kleinen Nager unbelast´tes Leben,
knabbert scheu am grad´ stibitzten Brot –
und hofft, er bleibt noch eine Weile unentdeckt hier drinnen.

 

3. Weinen

Schluchzen, das das Geräusch des Waldes übertüncht.
Tränen, die die Tropfen des Regens verwischen.
Zuckungen, die die huschenden Schatten verbergen.

Er ist allein. Wenigstens.
Keiner darf ihn so sehen, so hören.
Keiner würde verstehen, erkennen,
was ist, was war – was wird.

Schreie, Gekreisch und ein Heulen aus vollen Lungen
durchstechen hier und da das Tuch der Nacht.
Nur mühsam gelingt es dem Schmerz
die Taubheit der Welt zu durchbrechen.

So wohl tut das Weinen, überschwemmt seinen Geist,
wäscht aus sein Gewissen, überflutet und reinigt.
Das Gift sickert zäh aus Gedanken und Träumen.
Nie für immer – aber zumindest für heute.

Und der Rhythmus dieses sich schüttelnden Wehs
wiegt ihn nach Stunden in den Schlaf.
4. Vorstadt

Häuserschluchten umrahmen das Grau,
Halb-zue Rollläden blinzeln hinab,
Feuchte Fassaden verströmen den Mief,
Asphalt trägt das Keuchen der Stadt.

Von fern her hallt noch der Glockenschlag nach:
Vier Uhr in der Frühe – das Hoffen auf Schlaf
ist seit Stunden das einzig bewusste.
Die Kruste durchwanderter Tage liegt hart
auf der Sicht durch die dösenden Straßen.

Morgentau – statt Frische nur öliger Siff,
gar tödlichem Gift gleich schimmert die Nässe.
Verklebte Augenlider, die die Welt nicht erblicken wollen,
sträuben sich zu nehmen, was das Leben der Städte
hier hinaus trieb, in die leblose Steppe:
Trabantenstadt – stets schlafend oder leer.
Bis die Arbeiter sterben und die Armen hier herrschen.

Heute nur noch Gescheiterte, zwischen Bettlertum und Einzelhaft.
Das Schlechte greift um sich, wie Krebs-Metastasen.
Lieber Gomorra oder doch eine Geisterstadt?
Er selbst wird es nicht mehr erfahren.

Hinfort aus dem Sumpf, bald schleppt sich die Sonne
wieder über die Schwelle des Horizonts,
weckt all die Menschen, das Siechen des Volkes –
die Einsamkeit gewinnt nicht nur nachts.
5. Der Sammler

Leere Zigarettenpäckchen stapeln sich im Schrank.
Kronkorken beschlagnahmen schon eine ganze Bettschublade.
Bierdeckel bereiten sich aufs Dasein als Tapete vor.
Streichholzbriefchen dienen schon als Dominospiel.

Im Keller stehen Kisten voll mit durchgebrannten Glühbirnen.
Daneben türmen sich die Schuhkartons mit Speisekarten drin.
Am Boden liegen überall benutzte Taschentücher –
Beschriftet, mit Datum und auch Inhalt …

Die Dachkammer ist voll mit Bergen abgebrannter Kerzenstummel,
zwischen ihnen findet man auch ab und zu ne Fackel.
Aschenbecher sämtlicher Kneipen stehn auf Fenstersimsen,
Alben voller Briefmarken bevölkern die Regale.

Mieter K. ist nie zu Haus, er treibt sich rum, wo Sperrmüll ist.
Und Sonntags geht er statt zur Messe jedes Mal zum Flohmarkt.
Abends lauert er vor Bars und stöbert in den Abfalleimern.
Ab und an besucht er auch Konzerte wegen Plastikbechern.

Stolz ist er ja nicht auf das, was er für sein Essen tut,
er weiß, dass Einbruch lange nichts mit „ehrenhaft“ zu tun hat.
Er schämt sich für sein Leben als umherziehender Strolch –
Doch seit er Mieter K. kennt – nicht mehr ganz so sehr …
6. Erster Frost

Als Flocken fallen, treiben im Wind,
doch schmelzen in der Reibung des Lüftchens –
da klammert die Kälte schon fest in der Klaue
die Welt vor den Toren der Stadt.

Der Reisende eilt durch das Laub in den Gassen.
Die Hände zur Faust in den Taschen,
der Reißverschluss seiner braunledernen Jacke
zum Anschlag gezurrt und den Schal um die Backen,
marschiert er in Schuhen, die Nässe aufsaugen,
von den Spitzen der Steine zerrissen die Sohlen,
die so vielen Meilen schon trotzten.

Flachste Pfützen klirren schon im Eise –
bei jedem Schritt leicht angespannt das Bein.

Erste Tropfen sind zu träge, hängen von Markisen –
erstarrt zu totem Glas, woll´n nicht mehr fließen.

Der Atem trübt die Sicht mit Kondensat.
Die Züge Luft, sie beißen in der Lunge.
Der Rücken krampft vor Kälte und der Last.
Im Rucksack alles, was er hat –
der alte, müde Junge.
7. Kleinstadt-Weihnacht

Der heilige Schein – das hämische Grinsen
dieses Weißbärtigen in Rot mit dem Sack,
das Flimmern der Farben an Fenstern und Simsen
an Kabeln – erzwungener Wackelkontakt.

Duft nach geröstetem, heißem und süßem,
Klänge der Chöre zum Glück schon verklungen,
Schnee knirschet unter dem Tritt falscher Schuhe –
die Nässe dringt ein, lässt erlahmen die Füße.

Einsam lockt eine Parkbank,
wartet in der Leere der Nacht.
Er wischt mit dem Ärmel den Schnee weg
und lässt sich fallen, so matt.

Das “Fest der Liebe”, des Erlösers Geburt –
der Rausch des Konsums, das Opium fürs Volk –
der Schoß der Familie, hinter Mauern so fern –
und seit langem so fremd, dass es längst nicht mehr schmerzt.

Tiefes Einatmen.
Schweres Ausatmen.
Lippen versteinern –
Luft anhalten.
Kopfschütteln, wieder atmen,
aufspringen, losgehen –
Weglaufen.
Die Kleinstadt verlassen.
Die Fetzen des Festes den Straßenkehrern,
dem Winterdienst und der Müllabfuhr
zum Fraß überlassen.

Den armen Massen, die all das taten,
den Feiertag liebten, sich an ihm labten,
Verwandten Gaben gaben, Gaben selbst annahmen,
all diesen arglosen Seelen will er gönnen,
was sie haben.
8. Tannenwald

Im Tannenwald fühlt er sich wohl:
Wipfel wiegen sich weich im Wind,
Schneemassen wiegen schwer auf den Ästen
und fallen wie Vorhänge, verfliegen ins Nichts.

Das Dunkelgrün schimmert zwischen klirrendem Weiß,
Wärme des Lebens in der Kälte vom Tod,
verwelkende Ruhe blüht auf in der Wüste
aus Kargheit, Tristesse und – Geduld.

Die Bäume der heiligen Jahreszeit
bedeuten ihm hier erst das Heil,
das fern in der Stadt ihre jüngeren Brüder
und Schwestern so glänzend beschreien,
so hässlich verbrämt und behangen mit Schmuck
ihre Wurzeln beschämt nur verleugnen.

Keine Christbaumkugeln schweben
hier zwischen den Zweigen und zwinkern
verschmitzt jenem Zweifler entgegen –
er spürt nur den Schnee in den Fingern,
reibt sich die Wangen mit Feenstaub ein
und die Kühle lässt fühlen den Himmel.

Tannenzapfen liegen im endlosen Schnee,
Voll Anmut wachen die Bäume über den Wald.
Diese einzigen Blumen, die noch ihr Kleide tragen
bewahren den Kreislauf,
geben Einsamen Halt.

Nadeln sprenkeln den weißen Teppich –
zu leicht, um im Schnee zu versinken.
So glitzern sie grünlich und flüstern ihr Lied,
das nur kennt und hört, der hier liegt.

Er öffnet die Augen und blickt empor:
Schneeflocken rieseln und tanzen im Wind.
Das Rascheln der Lichtung umschmeichelt sein Ohr,
die Luft schmeckt nach taub, lahm und blind.

Natur – das ist Ehrlichkeit.
Schlichtheit, die Ruhe ausstrahlt –
Menschen vergessen schnell.
Aber tun alles, um weiter zu schreiten …

Ein Lächeln umkräuselt seine Lippen.

9. Im Zug

Regionalbahn, voll wie immer mittags.
Zwischen den Waggons, an der Türe noch Platz.
Rucksack in den Dreck auf dem Boden pfeffern.
Draufsetzen.
Blick schweifen lassen, aber:
Augenkontakt vermeiden.

Ein Bundeswehrtyp, riesiger Rucksack,
Tarnfarben, Stiefel und stierender Blick.

Junky-Mädchen, kein Gepäck –
klebrige Haare, Kaugummi im Mund.

Asiate im knautschigen Anzug –
Aktenkoffer abgenutzt, von zittrigen Händen umklammert.

Keiner schläft, aber “wach” das falsche Wort.
Keiner stockbesoffen, aber nüchtern auch nicht.
Hektische Blicke, obwohl übermüdet –
der Alltag der Mensch-Existenz?

Nur Augen offenhalten, Hab und Gut bewachen,
Rücken zur Wand hin und Hände stets frei –
bereit für den Kampf, für die Flucht – für den Feind!

Jeder Halt eine Hürde: Leute steigen ein,
steigen aus, stolpern blind durch das Wuchern der Beine
und Taschen am Boden des Eingangsbereichs –
vor sich hin fluchend übers arme Gesocks.

Und Wut brodelt, Hass lodert auf in der Brust –
nur eines hält fest all den Schwall:
Das kantige Messer in der Faust in der Tasche,
der Holzgriff; er schneidet ins Fleisch.
10. Bahnhof

Züge rattern.
Es rauscht aus den Lautsprechern.
Quietschen von Bremsen.
Blättern der Anzeigetafeln.

Hektik greift um sich.

Koffer schleifen durch Schmutz auf dem Bahnsteig.
Türen öffnen sich unter Zischen.
Freudiges Willkommenheißen, Abschied unter Tränen.

Bettelnde Junkies.
Kehrmaschinen, Koffertrollies.
Orangefarbene Westen schleichen über Gleise.

Ein Pfiff – heulend rollt der Zug an.

Überteuerter Fraß, Automatenkaffee.
Schlangen am Schalter.
Werbeplakate prangen hier, prangen da.

Mekka der Mobilität.

Was wäre eine Stadt ohne ihn?
Der Bahnhof.

Wie er ihn liebt –
trotz all des Hasses,
den er in ihm schürt.
11. Kneipe

Mit einem Schwall kalter Luft rauscht er herein
von draußen aus dem Sturm in die Kneipe.
Blicke mustern ihn voll Argwohn, Murmelei
verstummt – Und setzt dann wieder ein.

Hinten an der Theke lässt er sich nieder.
Befreit sich von Handschuhen und Rucksack.
Entschlingt den Hals vom Schal –
atmet durch – ein Seufzen beinah.

Wortlos wird ein Bier bestellt.
Golden gluckert der Hahn.
Die Krone schäumt nur kurz.

Ringmuster zieren des Holzes Lack,
Flaschenhälse funkeln in gedämpftem Licht.

Klebrige Flecken, frische Pfützen,
Splitter und Macken des Thekenreliefs.

Stickige Luft, das Beißen der Desinfektion,
Dampf zwiebligen Sudes kriecht in alle Poren.

Räuspern, Husten, heiseres Lachen,
Klirren von Glas und Knarren von Holz.
Bitterkeit und der Muff alter Lappen
vermischen sich mit Hoffnung auf Ruhe.

Vorm Alltag, vorm entkräfteten Zusammensinken.
Vor Trauer, vor zersetzendem Vondannenziehen.

Ein Schwung des Armes, der Saft stürzt hinab,
flutet die dürstende Kehle.
Tropfen rinnen sanft das Kinn entlang.

Regenwasser, Schweiß und Bier
bilden den Trunk seiner Seele.

Heute ist geschafft, der Abend erklommen.
Möge die schwarze Decke kommen,
sich über ihn werfen.

Das nächste Glas Bier wird erwunken.
12. Fledermaus

Jetzt, genau jetzt muss er gehen!
Raus hier, hinaus in die Nacht.
In den Regen, den Sturm, den Hagel, den Schnee –
kein Wetter kann ihn hier noch halten.
Der Trieb, der ihn packt, wie ein Stich, wie ein Schlag
ihn ereilt – ganz plötzlich – und ins Kalte ihn treibt.

Erlösung erst dann, wenn er friert.

Die Türe schlägt auf – doch kein Lüftchen
weht ihm entgegen, gar lauwarme Nacht
umströmt sein Gesicht und er atmet sie.
Die Schritte bewusst – ja, andächtig fast –
auf weichem doch festem Grund.

Das Rascheln im Busch, ein Igel der flitzt
und ein Flattern huscht über sein Haupt;
der Blick kommt zu spät, das Tier ist schon fort –
und er selbst wünscht sich, mit ihr zu fliegen:

Eine Fledermaus, so grau und geheim,
so leise und schnell – so allein.
So flüchtig wie ihr Flügelschlag –
so würde auch er gerne sein.
13. Hunger

Tränen – Wörter, die nicht sind, die nichts bedeuten.
Ideen, die verschwimmen und wie Tropfen dunklen Bluts gerinnen.
Gedanken, die nicht sollen sein, die unerwünscht traktieren.
Gespielte Freude peinigt nur sein Sein.

Erdachtes Unheil wirkt auf seine Sinne.
Geschärfte Wahrnehmung behält Kontrolle.
Doch der Trauer edle Konsistenz verheißt Versöhnung
Mit alldem, was ihn quält und untergräbt.

Worte einer Tugend, die vermisst wird.
Taten eines Körpers, der sich windet.
Hohle Wut, die einschlägt und verdampft.
Ein kleiner Tropfen Hoffnung, der versickert.

Keine Strömung, die ihn mit sich reißen könnte.
Kein Gewitter, das ihn zittern ließe.
Keine Gnade, welche er erhoffte.
Kein Problem, das Lösungen enthielte.

Nichts hat einen Sinn und doch erhellt es seinen Geist.
Nichts sagt wirklich, was gemeint ist – dennoch fährt es fort.
Heute ist wie gestern und auch morgen wird nicht anders.
Die Tage stapeln müde Tat auf Tat.

Ein letztes Rauschen klingt in seinen Ohren.
Das unheilvolle Klirren voller Gläser.
Heiseres Gelächter schallt herbei aus allen Türen.
Und traurig schließt der Landstreicher die Augen.

From → Literatur, Lyrik

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