1. Dezember – das Mantra
Im Urbeginn war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.
Dieses war im Urbeginn bei Gott.
Alle Dinge sind durch dasselbe geworden, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was entstanden ist.
In ihm war Leben, und das Leben ward das Licht der Menschen.
Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen.
Jeden Morgen spreche man sich dieses Mantra vor; gar nicht laut, aber doch hörbar und jedes gesprochene Wort in vollem Bewusstsein seiner Heiligkeit – ob nun im altgriechischen Original oder in einer beliebigen Übersetzung ist dabei unwichtig fürs Erste. Abstraktes Verständnis ist ebenfalls sekundär, während man es spricht. Erst nach und nach werden sich klare Bilder und tiefe Empfindungen zu diesen ewigen Worten ergeben. Als Grundgerüst diene etwa die Imagination einer riesenhaften Kugel, die nur aus wogender Wärme und himmlischem Klang besteht, und in der alles enthalten ist, was einmal in der Welt sich zeigen wird.
Und man wisse dazu: Die fünf ersten Verse dieses Evangeliums nach Johannes sind nicht einfach nur ‚irgendwelche‘ Bibelverse, sondern sie sind eine wohl erprobte Meditationsformel, indem sie in archetypischen Bildern die inneren Prozesse nachformen, die geschehen, während man die Seele im demütigen Gebet zu Gott erhebt, ‚den Blick in die Himmel richtet‘. Die Urchristen wussten dies noch, und wer damals über die christliche Nächstenliebe hinaus auch die inneren Geheimnisse der wahrhaftigen Religion begreifen wollte, der bediente sich zunächst vor allem dieses Mantras, um mit der Zeit selbst den Blick für das Seelische in der Welt geöffnet zu bekommen, so es die Gnade Jesu Christi für ihn vorsah.
Und wenn man über dieses Eröffnungs-Mantra hinaus sogar noch die folgenden 9 Verse des ersten Kapitels liest, sie geradezu tief einzuatmen schafft, bevor man allmorgendlich den Alltag beginnt – dann hat man in seinem Herzen stets fest geborgen das allertiefste und -höchste Geheimnis des Christentums überhaupt, die Fleischwerdung Gottes in Jesus Christus, und ganz von selbst wird es jeden Tag ein Stück weiter in die ganze Seele ausstrahlen, immer tiefer und inniger, höher und weiter – bis dieser Funke des Herzens eines Tages ‚auf der Jakobsleiter‘ der eignen Seele hoch bis ins Haupt wird emporgestiegen sein:
Es war ein Mensch, von Gott gesandt, der hieß Johannes.
7Der kam zum Zeugnis, um von dem Licht zu zeugen, damit sie alle durch ihn glaubten.
8Er war nicht das Licht, sondern er sollte zeugen von dem Licht.
9Das war das wahre Licht, das – in diese Welt kommend – alle Menschen erleuchtet.
10Es war in der Welt, und die Welt ist durch es gemacht; und die Welt kannte es nicht.
11Es kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen es nicht an.
12Wie viele es aber annahmen, denen gab es Macht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben,
13die nicht aus Geblüt, noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind.
14Und das Wort ward Fleisch und wohnete unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des einziggeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.
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