20. Dezember – die Kreuzigung und das Sterben
Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.
Dasselbe war im Anfang bei Gott.
Alle Dinge sind durch dasselbe geworden, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.
In ihm war Leben, und das Leben wurde das Licht der Menschen.
Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen.
Ein jedes Viertes in einer Reihe von Sieben stellt die Mitte dar – gewissermaßen den relativen Scheitelpunkt einer jeden Entwicklung in der Zeit. Und so ist auch in der urchristlichen Einweihung mit ihren sieben Stufen gerade der vierte Grad ein ganz Besonderer: Bei ‚Kreuzigung und Sterben‘ nämlich ‚zieht der Christus endgültig ein in das Irdische‘, und zwar als ‚Blut und Wasser‘, ergießt sich in die Atmosphäre der irdischen Menschenwelt und eröffnet so jedem nach ihm kommenden Menschen, die Wahrheit Gottes in sich selbst zu erkennen mithilfe des Heiligen Geistes, und so den Christus einst in der eigenen Seele auferstehen zu lassen; und es ‚zerreißt der Vorhang vor dem Allerheiligsten‘, wie es im Evangeliumsbericht nach Lukas auch von dem Vorhang im Jerusalemer Tempel bezeugt wird. Denn der Mystiker erlangt auf dieser Stufe, indem er Jesu Christi Kreuzestod nacherlebt in seinem Innern, endlich vollends den Blick für das Seelische hinter der Materie, die für ihn urplötzlich zerreißt wie ein dünner Schleier – das ist der ‚Photismos‘, die eigentliche Erleuchtung, an deren Möglichkeit der moderne ‚Materialist‘ schon per definitionem nicht glauben kann.
Jesu Christi Tod am Kreuz also steht, auf die menschliche Seelenentwicklung bezogen, für das mystische ‚Absterben aller subjektiver Persönlichkeit‘ – die Aufgabe des letzten Restes an persönlicher ‚Selbstheit‘ als Basis fürs Handeln in der Welt. Von nun an muss und wird die sterbliche Person allein aus sich selbst leisten, was bis dahin das ‚Höchste Selbst‘, der Christus in einem geleistet hat. Im Text ist dies repräsentiert durch Jesu Christi Worte zu seiner Mutter Maria, die seinen Leib einst geboren hat und die selbst symbolisch für das Leibliche überhaupt steht (wo dieses Leibliche allerdings rein konstruktiv aufgefasst wird und nicht als bloßer Widerstand gegen den Geist, als der es in jeder anderen weltlichen Rolle aufzufassen ist!), und zu seinem ‚Lieblingsjünger‘, auf den sein Geist also übergeht: Beide sollen einander annehmen und zu einer Familie werden, Körper und Geist müssen in der Seele die ‚Chymische Hochzeit‘ feiern, wie es die mittelalterlichen Alchemisten später nannten, um das Körperliche zu erlösen von dem Bösen. So übernimmt der ‚Lieblingsjünger‘, der vorbildlichste Schüler des Meisters dessen Rolle als ‚Höchstes Selbst‘ in der vollends ‚geläuterten und erleuchteten‘ Seele. Und der Mensch, in dessen Seele sich das Leben Jesu Christi nun hat wiedergespiegelt … ist verwandelt, sowie Jesus ‚den Geist übergibt‘. Denn das ist der ‚Tod‘, vom Geistigen her verstanden: Die Verwandlung.
18Da kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte.
19Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von Nazareth, der König der Juden.
20Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache.
21Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreib nicht: Der König der Juden, sondern dass er gesagt hat: Ich bin der König der Juden.
22Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben.
23Als aber die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch das Gewand. Das war aber ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück.
24Da sprachen sie untereinander: Lasst uns das nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll. So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt: »Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.« Das taten die Soldaten.
25Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala.
26Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn!
27Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.
28Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet.
29Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und steckten ihn auf ein Ysoprohr und hielten es ihm an den Mund.
30Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht!, und neigte das Haupt und übergab den Geist.
31Weil es aber Rüsttag war und die Leichname nicht am Kreuz bleiben sollten den Sabbat über – denn dieser Sabbat war ein hoher Festtag –, baten die Juden Pilatus, dass ihnen die Beine gebrochen und sie abgenommen würden.
32Da kamen die Soldaten und brachen dem Ersten die Beine und auch dem andern, der mit ihm gekreuzigt war.
33Als sie aber zu Jesus kamen und sahen, dass er schon gestorben war, brachen sie ihm die Beine nicht;
34sondern einer der Soldaten stieß mit dem Speer in seine Seite, und sogleich kam Blut und Wasser heraus.
35Und der das gesehen hat, der hat es bezeugt, und sein Zeugnis ist wahr, und er weiß, dass er die Wahrheit sagt, damit auch ihr glaubt.
36Denn das ist geschehen, damit die Schrift erfüllt würde: »Ihr sollt ihm kein Bein zerbrechen.«
37Und wiederum sagt die Schrift an einer andern Stelle: »Sie werden den sehen, den sie durchbohrt haben.«
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